Nur sechs Jahre trennen das Erscheinen der Bücher „Stadt
ohne Engel“ von Jan Brandt (2016) und „Stadt der Engel“ von Christa Wolf (2010). Den 1974 geborenen Autor und die 2011 verstorbene Autorin trennen dagegen
zwei Generationen und der ungeheure Abgrund zwischen deutscher Vergangenheit
und der globalen Gegenwart.
Christa Wolf ist 1992 auf Einladung des Getty Centers mehr
oder weniger nach Los Angeles geflohen, teils, um den Anfeindungen und der
Heimatlosigkeit im vereinigten Deutschland zu entkommen, teils um sich den
Herausforderungen der Wende zu stellen, eine autobiographische Rückschau zu
halten und sich dabei an den mit LA verbundenen Engeln der Vergangenheit -
Thomas Mann, Brecht, Feuchtwanger - festzuhalten. Sie konnte das alles erst
kurz vor ihrem Tod in einem letzten starken Buch gestalten.
Auch Jan Brandt kommt aus Berlin, der Stadt der
Vergangenheitsengel (vgl. Cees Nootebooms „Allerseelen“) , mit einem Stipendium
im Jahre 2014 für drei Monate in die luxuriöse „Villa Aurora“ in die „Stadt
ohne Engel“, in ein Los Angeles voller Dämonen, die unsere Gegenwart bestimmen.
Auch er hält eine autobiographische Rückschau, konfrontiert das Leben eines in
seiner Anwesenheit ermordeten 22jährigen Mexikaners in LA mit seiner Jugend in
Ostfriesland und als 22jähriger Student in Köln (Jan Brandt hat 2011 mit seinem Roman „Gegen die Welt“ Furore
gemacht) und sucht – ganz anders als bei Christa Wolf – gerade die wilden Orte
der mythischen Medienstadt auf.
Aber in erster Linie stellt er in seinem neuen Buch der
jahrzehntelangen deutschen Rückwärtsgerichtetheit eine starke Reportage unserer
globalisierten Gegenwart gegenüber. Wir leben in diesem Jahrzehnt – gerade auch
in Deutschland - auf einer historischen Wasserscheide. Schon in wenigen Jahren
wird unsere Welt eine völlig andere sein. Das zentrale Kapitel, doppelt so lang
wie alle anderen, beschäftigt sich mit den neuen Großmächten unserer Kultur: mit dem “Circle” von
Apple, Google, Facebook. Dies gestaltet Jan Brandt in der dichten Beschreibung einer
Folge scheinbar zufälliger Begegnungen mit jungen kreativen und exzentrischen
Personen. Er verbindet dabei die Qualitäten eines recherchierenden
Journalisten mit denen eines tiefernsten und völlig un-ironischen Romanciers
und Beobachters.
Unsere Gegenwart haben wir schon verloren. Jan Brandt hält sich als Akteur in seinem Buch auffällig zurück. Er hört zu und beobachtet und lehrt
uns, die Spuren unserer Zeit anzuschauen. Dazu tragen auch seine großartigen Fotografien bei, die der Verlag dem besonders
schön gestalteten Buch in üppiger Weise beigegeben hat.
Jan Brandt, Stadt
ohne Engel. Wahre Geschichten aus Los Angeles, DuMont Buchverlag: Köln 2016,
383 Seiten, € 22,99
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