Cookie

Dienstag, 2. Dezember 2014

Musik und Geschichte - Richard Powers´ Roman "Orfeo"


Gegen Ende des Romans „Orfeo“ macht sich Richard Powers´ Hauptfigur, der pensionierte Musikprofessor Peter Els, Gedanken über die „Hauptschwierigkeit von Musik“:


„Selbst die kleinste Melodie nahm man als eine Geschichte auf. Das Hirn las diese Melodie wie den Wetterbericht, wie ein Glaubensbekenntnis, wie Klatschgeschichten, ein Manifest. Die Geschichte nahm Gestalt an, klarer, als sie es mit Worten gekonnt hätte. Aber es gab keine Geschichte“ 
(Orfeo, S. 373 in der deutschen Ausgabe).


Den Musikroman „Orfeo“ (2014) scheint Powers geschrieben zu haben, um dieses Statement zu widerlegen, denn er baut ein avantgardistisches Musikstück des 20. Jahrhunderts nach dem anderen in seine Geschichte ein.


Am eindrucksvollsten gelingt ihm das mit Olivier Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“ (S. 147-170). Dieses Kammermusikstück für vier Instrumente hat der Franzose Messiaen im Görlitzer Kriegsgefangenenlager Stalag-VIII-A komponiert und dort am 15. Januar 1941 mit Unterstützung der Lagerkommandanten uraufgeführt: „Die deutschen Offiziere, allesamt Musikliebhaber, nehmen ihre Vorzugsplätze in den vorderen Reihen ein“ (S. 156).


Powers erzählt die Umstände der Entstehung und er erzählt die Musik über dreiundzwanzig Seiten hinweg. Im Roman ist dies eine improvisierte Vorlesung des Musikprofessors in seinem Seniorenkurs. Und im selben Moment, in dem er mit dem iPod den Teilnehmern das Stück vorführt, habe ich mein iPad an meine Musikanlage angeschlossen und zum ersten Mal „Quatuor pour la fin du temps“ gehört; eine Verschränkung von Roman und Musik und Leben, wie ich es noch nie erlebt habe.


In diese Situation kommt der Leser dauernd, zum Beispiel mit: Gustav Mahler, Kindertotenlieder (1905), S. 45-59, John Cage, Musicircus (1967), S. 179-189 und Dmitri Schostakowitsch, Vierte Symphonie (1936), S. 373-382. Und noch viel mehr. Und auch mit fiktiven Musikstücken der Romanfigur. Und nicht etwa denken, dass das vielleicht nicht spannend ist: es ist rasend spannend. Und da spielt auch noch etwas ganz Anderes eine Rolle…


Doch dazu später. Hier spielt die Musik:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen