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Sonntag, 1. Juni 2014

Frustrationen mit meinen Geisteshelden

Es hat Methode, es kann kein Zufall sein: Mehrfach habe ich in den letzten Monaten in Berlin Veranstaltungen mit den Geisteshelden meiner intellektuellen Vergangenheit der sechziger und siebziger Jahre erlebt, die mich tief enttäuscht und geradezu frustriert haben.

Ob es nun Karl Heinz Bohrer betraf oder Michael Rutschky oder Helmut Lethen, deutsche Intellektuelle, deren Publikationen ich seit Jahrzehnten verfolge und mit Gewinn gelesen habe: In der persönlichen Präsentation vor Publikum treten diese Herren mit einer impertinenten Unverständlichkeitsattitüde auf, die sie offenbar als angemessenen Umgang mit ihrer Zuhörerschaft empfinden. Etwa in dem Sinne: Wer mich nicht versteht, hat hier auch nichts zu suchen. Das Publikum besteht nach meinen Beobachtungen zum Teil aus Eingeweihten, die diesen Code verinnerlicht haben, und ihre Zugehörigkeit durch ständiges Kopfnicken zu erkennen geben und zum anderen Teil aus geistig begossenen Pudeln, die ihr Nichtverstehen erst beim Hinausgehen zischelnd gegenüber ihren Partnern zu äußern wagen, aber ihr Scheitern und die daraus folgende Exklusion nicht in Frage stellen.

Helmut Lethen
Jüngstes Beispiel: die Vorstellung von Helmut Lethens neuem Buch “Der Schatten des Fotografen” im Literaturhaus Berlin am letzten Freitag. Lethen hat für dieses Werk den Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse erhalten. Es ist von den einschlägigen Rezensenten des deutschen Feuilletons nahezu einmütig gelobt worden, und Lethen lobte seinerseits an diesem Abend die Rezensenten für ihr Verständnis, vor allem Jochen Schimmang, der in der FAZ darauf hingewiesen hatte, dass es sich nicht um ein “Sachbuch” handele, sondern um “Erzählungen”. Es sei so: “Der Schatten des Fotografen” ist ganz gewiss ein unterhaltsames und keineswegs unverständliches Buch.

An dem Abend im wunderschönen Literaturhaus in der Fasanenstraße haben die Veranstalter Michael Rutschky an die Seite von Helmut Lethen gesetzt. Seine Aufgabe sollte vermutlich sein, dem Publikum im Gespräch mit dem Autor einen Eindruck von dem Buch zu vermitteln und natürlich auch ein wenig Werbung dafür zu betreiben. Fast hundert Zuhörer hatten sich erwartungsfroh versammelt.

Ein solches Gespräch kam aber während der anderthalbstündigen Veranstaltung nur wenige Minuten lang zustande. Rutschky zitierte zu Beginn erst einmal zehn Minuten lang aus seinem eigenen Buch “Erfahrungshunger” aus dem Jahre 1980, in dem er den legendären Deutschen Germanistentag von 1968 beschreibt. Das zur Einführung des Germanisten L. Danach zeigte L. = Lethen ein paar Fotos aus seinem Buch, wobei die Reihenfolge ständig durcheinander kam und das entscheidende Foto, nämlich das mit dem Schatten des Fotografen, überhaupt nicht mehr gezeigt wurde, weil L. irgendwie Angst vor dem Laptop bekommen hatte. Die beiden Herren, von denen ich eine gewisse gegenseitige Affinität erwartet hatte, redeten aneinander vorbei. Fragen blieben offen im Raume stehen. Am Ende sah Rutschky zum ersten Mal das Publikum an: ob denn jemand eine Frage habe? Die Eingeweihten und die begossenen Pudel erstarrten, und Rutschky löste die entstandene Beklemmung grinsend mit dem Abbruch der Veranstaltung.


Also, wie gesagt: diese Art der Präsentation hat Methode, sie ist kein Zufall. So funktioniert die deutsche intellektuelle Szene im Berlin des frühen 21. Jahrhunderts. Zumindest, wenn Alt-Achtundsechziger involviert sind.

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