Es hat Methode, es kann kein Zufall sein: Mehrfach habe ich
in den letzten Monaten in Berlin Veranstaltungen mit den Geisteshelden meiner
intellektuellen Vergangenheit der sechziger und siebziger Jahre erlebt, die mich
tief enttäuscht und geradezu frustriert haben.
Ob es nun Karl Heinz Bohrer betraf oder Michael Rutschky
oder Helmut Lethen, deutsche Intellektuelle, deren Publikationen ich seit
Jahrzehnten verfolge und mit Gewinn gelesen habe: In der persönlichen Präsentation
vor Publikum treten diese Herren mit einer impertinenten Unverständlichkeitsattitüde auf, die
sie offenbar als angemessenen Umgang mit ihrer Zuhörerschaft empfinden. Etwa in
dem Sinne: Wer mich nicht versteht, hat hier auch nichts zu suchen. Das
Publikum besteht nach meinen Beobachtungen zum Teil aus Eingeweihten, die
diesen Code verinnerlicht haben, und ihre Zugehörigkeit durch ständiges
Kopfnicken zu erkennen geben und zum anderen Teil aus geistig begossenen
Pudeln, die ihr Nichtverstehen erst beim Hinausgehen zischelnd gegenüber ihren
Partnern zu äußern wagen, aber ihr
Scheitern und die daraus folgende Exklusion nicht in Frage stellen.
Helmut Lethen |
Jüngstes
Beispiel: die Vorstellung von Helmut Lethens neuem Buch “Der Schatten des Fotografen”
im Literaturhaus Berlin am letzten Freitag. Lethen hat für dieses Werk den
Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse erhalten. Es ist von den einschlägigen
Rezensenten des deutschen Feuilletons nahezu einmütig gelobt worden, und Lethen
lobte seinerseits an diesem Abend die Rezensenten für ihr Verständnis, vor
allem Jochen Schimmang, der in der FAZ darauf hingewiesen hatte, dass es sich
nicht um ein “Sachbuch” handele, sondern um “Erzählungen”. Es sei so: “Der
Schatten des Fotografen” ist ganz gewiss ein unterhaltsames und keineswegs unverständliches
Buch.
An dem Abend im wunderschönen
Literaturhaus in der Fasanenstraße haben die Veranstalter Michael Rutschky an die Seite von Helmut
Lethen gesetzt. Seine Aufgabe sollte vermutlich sein, dem Publikum im Gespräch
mit dem Autor einen Eindruck von dem Buch zu vermitteln und natürlich auch ein
wenig Werbung dafür zu betreiben. Fast hundert Zuhörer hatten sich
erwartungsfroh versammelt.
Ein solches
Gespräch kam aber während der anderthalbstündigen Veranstaltung nur wenige
Minuten lang zustande. Rutschky zitierte zu Beginn erst einmal zehn Minuten
lang aus seinem eigenen Buch “Erfahrungshunger” aus dem Jahre 1980, in dem er
den legendären Deutschen Germanistentag von 1968 beschreibt. Das zur Einführung
des Germanisten L. Danach zeigte L. = Lethen ein paar Fotos aus seinem Buch,
wobei die Reihenfolge ständig durcheinander kam und das entscheidende Foto,
nämlich das mit dem Schatten des Fotografen, überhaupt nicht mehr gezeigt
wurde, weil L. irgendwie Angst vor dem Laptop bekommen hatte. Die beiden
Herren, von denen ich eine gewisse gegenseitige Affinität erwartet hatte,
redeten aneinander vorbei. Fragen blieben offen im Raume stehen. Am Ende sah Rutschky
zum ersten Mal das Publikum an: ob denn jemand eine Frage habe? Die
Eingeweihten und die begossenen Pudel erstarrten, und Rutschky löste die
entstandene Beklemmung grinsend mit dem Abbruch der Veranstaltung.
Also, wie gesagt:
diese Art der Präsentation hat Methode, sie ist kein Zufall. So funktioniert
die deutsche intellektuelle Szene im Berlin des frühen 21. Jahrhunderts. Zumindest, wenn Alt-Achtundsechziger involviert sind.
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