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Freitag, 18. April 2014

Kaiserdämmerung (6) - Joseph Roth, Von Hunden und Menschen

Joseph Roth, Von Hunden und Menschen (1919)
Der Neue Tag, 1. 8. 1919
Joseph Roth
Zu den vielen Straßenbildern des Wiener Kriegselends hat sich seit einigen Tagen ein neues gesellt: ein vom Kriege zum rechteckigen Winkel konstruierter Mensch – Invalide mit Rückgratbruch – bewegt sich auf eine fast unerklärliche Weise durch die Kärntnerstraße und kolportiert Zeitungen. Auf seinem, mit dem Trottoir eine Horizontale bildenden gebrochenen Rücken sitzt – ein Hund. Ein wohldressierter, kluger Hund, der auf seinem eigenen Herrn reitet und aufpaßt, daß diesem keine Zeitung wegkommt. Ein modernes Fabelwesen: eine Kombination von Hund und Mensch, vom Kriege ersonnen und vom Invalidenjammer in die Welt der Kärntnerstraße gesetzt. Ein Zeichen der neuen Zeit, in der Hunde auf Menschen reiten, um diese vor Menschen zu bewachen. Eine Reminiszenz an jene große Zeit, da Menschen wie Hunde dressiert und in einer sympathischen Begriffskombination als »Schweinehunde«, »Sch...hunde« usw. von jenen benannt wurden, die selbst Bluthunde waren und so nicht genannt werden durften. Eine Folge des Patriotismus, der die aufrechten Ebenbilder Gottes abhängig machte von vierfüßigen Geschöpfen, die niemals den Seelenaufschwung besaßen, Heldentum und Kanonenfutterage zu bilden und höchstens zur Sanität assentiert werden durften. An der Brust des Invaliden baumelt ein Karl-Truppenkreuz. Am Halse des Hundes hängt eine Marke. Jener mit dem Karl-Truppenkreuz ist ein Leidender. Dieser mit der Marke ein Tätiger. Er bewacht das Leid des Invaliden. Er bewahrt ihn vor Schaden. Das Vaterland und die Mitmenschen konnten ihm nur Schaden zufügen. Diesen hat er es zu verdanken, daß jener ihn bewacht. Oh, Zeichen der Zeit! Ehemals gab es Schäferhunde, die Schafherden, Kettenhunde, die Häuser bewachten. Heute gibt es Menschenhunde, die Invalide bewachen müssen, Menschenhunde als Folgeerscheinung der Hundemenschen. Wie eine Vision wirkte auf mich dieses Bild: ein Hund sitzt auf einem Menschen. Ein Mensch ist froh, von diesem Hunde abhängig sein zu können, da er sich erinnert, wie er von anderen abhängig sein mußte. Gibt es Traurigeres als diesen Anblick, der ein Symbol der Menschheit zu sein scheint? Ringsum lustwandelt der Kriegsgewinn mit der Telepathie und in der Mitte ein berittener Hund! Inferiorität der menschlichen Rasse, Superiorität der tierischen. Wir haben es herrlich weit gebracht durch diesen Krieg, in dem die Kavallerie abgeschafft wurde, damit Hunde auf Menschen reiten können! ...
Josephus
Aus: Joseph Roth, Der neue Tag. Reportagen, 1970 (1919)

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