Unantastbare
Nachkriegszeit, im Gedächtnis der geschützte Code der Frühe. Ein Siegel, das
kein späteres Besserwissen brechen konnte. Erinnerungen verblassen, dafür lösen
sich Depots, die feindosiert Vergangenheit als reinen Stoff ins Blut streuen.“
Botho Strauß, Vom
Aufenthalt, München 2009, 150f.
Das ist für mich
ein spannender Text: genauso wie Strauß erfahre ich es auch. Das
Fünfzig-Pfennig-Stück fand ich als Kind besonders schön, als Silbermünze, deutlich mehr wert
als ein Groschen, mit einem konkreten Bild auf der Rückseite – ich finde immer
noch Münzen mit einem realistischen Bild schön, nicht die stilisierten Adler,
Zeichen und Köpfe – dies ist ein intensives Geldstück aus der Kindheit, ein
geschützter ‚Code der Frühe‘. Die holländischen Kwartjes und Dubbeltjes waren
damals sogar noch faszinierender: mein erstes ausländisches Geld. Die
Faszination durch Münzen hat sich gehalten. Zeitweise habe ich Münzen
gesammelt, und immer habe ich ein Auge dafür gehabt: im Europa vor dem Euro
(das war sehr schön im naiven Sinn) und im Europa seit dem Euro (das ist sehr
schön im ideellen Sinn). Ich habe ein Kästchen mit Euromünzen, deren Rückseiten
mir besonders gefallen: die griechische Eule und Europa mit dem Stier, die
Schwäne auf den finnischen Münzen.
Aber Botho Strauß
will ja mehr: das Gedächtnis ‚klimpert‘ mit den alten Münzen, aber der
erwachsene Botho sieht auf der Fünfzigpfennigmünze eine ‚Wiederaufbaufee nach
BDM- Geschmack‘. Dennoch bleibt das Stück unantastbar und versiegelt.
Die persönliche
Kindheit mit ihren sinnlichen Prägungen und Aufregungen - und der in
Jahrzehnten geübte kritische Blick auf die fünfziger Jahre und die
Gesellschaft, in der wir aufgewachsen sind: gehört das zusammen oder gehört das
auseinander. Und was meint Strauß mit dem ‚reinen Stoff‘, der uns jetzt als
Vergangenheitsheroin ins Blut rieselt?
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