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Mittwoch, 28. September 2022

Meine kleine Ukraine-Bibliothek (21): Joseph Roth und die "Weltaufteiler"

 


Joseph Roth, geboren 1894 in Brodsky/Galizien, gestorben 1939 in Paris


Joseph Roth zur Situation in Mitteleuropa nach der Pariser Friedenskonferenz von 1919:


“In diesem Europa, in dem die möglichst große Selbständigkeit der Nationen das oberste Prinzip der Friedensschlüsse, Gebietsteilungen und Staatengründungen war, hätte es de europäischen und amerikanischen Kennern der Geographie nicht passieren dürfen, dass ein großes 

V o l k  v o n  30 M i l l i o n e n  in mehrere nationale Minderheiten zerschlagen, in verschiedenen Staaten weiterlebe. Zwingt man sich (wider sein besseres Wissen) zu jener naiven Anschauung, dass die Nationen von Europa in säuberlich voneinander getrennten Gebieten leben, wie auf Schachbrettern, so ist nicht einzusehen, weshalb man ein großes Volk einfach vergaß und weshalb man das Gebiet, auf dem es lebt, nicht zusammenzuschließen versuchte, sondern neuerlich aufteilte. Die Ukrainer, die in Russland, in Polen, in der Tschechoslowakei, in Rumänien vorhanden sind, verdienten gewiss einen eigenen Staat, wie jedes ihrer Wirtsvölker. Aber sie kommen in den Lehrbüchern, aus denen die Weltaufteiler ihre Kenntnisse beziehen, weniger ausführlich vor als in der Natur – und das ist ihr Verhängnis.“

 

(aus: Joseph Roth, „Die ukrainische Minderheit“, Frankfurter Zeitung, 12. August 1928)

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