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Dienstag, 13. September 2022

Meine kleine Ukraine-Bibliothek (19): Der ukrainische Nationaldichter Taras Schewtschenko

 Taras Schewtschenko (1814-1861)


Das Vermächtnis

Sterb ich, so begrabt auf einem
Kurhan 1) mein Gebeine
Mitten in der weiten Steppe

Meines Lands Ukraine,
Dass ich Felder schau, des Dnjepr
Steile Uferrande,
Dass ich höre, wie der Wilde
Braust durch Steppenlande!

Wie er stolz aus der Ukraine
Fern ins Meer, ins blaue,
Wälzen wird das Blut der Feinde —
Felder, Berg und Aue,
Alles will ich froh dann lassen,
Nur zu Gott, dem Einen,
Betend fliegen. Doch bis dahin —
Freunde, kenn ich keinen!

Senkt mich ein — doch dann erhebt euch,
Ketten sprenget, harte,
Feindesblut, es röte eurer
Freiheit Siegsstandarte!
Und im neuen freien Bunde,
In der Brüder Kreise,
Denkt auch meiner dann mit einem
Wörtchen lieb und leise!

Perjaslaw, 25. Dez. 1845.


*) Vgl. „Schewtschenkos Leben und Dichten“ Seite 23.
1) Grabhügel (vgl. Seite 31, Anm.)

Taras Schewtschenko (1814-1861)

Osip Fedjkowytsch (1834-1888)

In Kiew an der Lawra,1)

Da saß ein Sängergreis,

Sein Bart war weiß wie Silber,

die Locken silberweiß.

 

Der sang viel alte Lieder, 

Sang manchen Seherspruch

Und manchem Teufel Segen

Und manchem Engel Fluch.

 

Und manchem Helden Schande

Und manchem Weisen Hohn

Und manches Schwert in Stücke,

in Stücke manchen Thron.

 

Da riss sich eine Quader

Vom alten Dome los

Und stürzt zu seinen Füßen

Und sprang in seinen Schoß.


“O Sänger, du furchtbarer Sänger,

lass solch ein Singen sein,

Sonst stürzt zu deinen Füßen

Das ganze Russland ein.”

 

1)      Das berühmte Höhlenkloster

 

(Gedicht auf Taras Schewtschenko aus: “Nationalpoesie der Ruthenen”, 1865, im Original Deutsch)

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