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Montag, 14. Oktober 2024

Wilhelm Busch (9): Der deutsche Vaudeville-Modernist

Der große Unterschied zwischen Deutschland und dem „Westen“, also Frankreich, England und den USA, was war er? Im politischen Sinn natürlich die komplizierte Herausbildung der demokratischen Herrschaft. Das geschah in Deutschland „verspätet“. Im ökonomischen und damit im soziologischen Sinn aber war die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Ländern des Westens und in Deutschland gar nicht so verschieden: England lag vorne, was die Industrialisierung betraf, Deutschland holte nach 1871 rasant auf, die USA waren die noch kommende Weltmacht, bezogen aber ihre wachsende weiße Bevölkerung aus all diesen europäischen Staaten.

Im Falle der Beurteilung Wilhelm Buschs geht es jedoch um ein kulturell-ästhetisch-soziologisch verquicktes Thema, nicht um ein politisches. Klotz’ Argumentation führt in die falsche Richtung bzw. sie ist simplifizierend.

Buschs Bildergeschichten sprachen ein sich diversifizierendes und schnell wachsendes  Konglomerat bürgerlicher, kleinbürgerlicher und subbürgerlicher Menschen an. Sie illustrierten deren Alltags- und Arbeitswelt, die sich in all diesen Staaten immer mehr vom kulturbestimmenden Bildungs- und Wohlstandsbürgertum  (und schon gar von der Aristokratie) unterschied.

Insofern ist Buschs Werk nicht Ausdruck eines großen politischen Unterschieds zwischen Deutschland und dem Westen, sondern im Gegenteil einer deutlichen kulturell-ökonomisch-soziologischen Ähnlichkeit.

England erfuhr in jenen Jahrzehnten mit den Music-Halls einen kulturellen Umschwung „unterhalb“ der aristokratisch-bürgerlichen Hochkultur, Frankreich erlebte eine Diversifizierung seiner elitären Unterhaltungskultur durch die Vaudeville-Theater, und die jungen Vereinigten Staaten fingen sowieso erst an, ein breites Kulturleben zu entwickeln, das genau auf diesen neuen, chaotischen, modernistischen, massenbegeisternden aus Europa herüberwehenden Vaudeville-Elementen aufbaute.




Und Deutschland? Dort war im kulturellen Sinne das landesspezifische Bildungs- und Großbürgertum bestimmend. Eine große Rolle spielte auch der Umstand, dass Deutschland bis 1871 aus einer Vielzahl politisch und kulturell konkurrierender Fürstentümer bestand und über zahllose kulturelle Institutionen verfügte, Theater, Opernhäuser, Orchester, bis heute weckt dieser Reichtum Bewunderung.

Auf dieser Ebene hatte die ordinär-agressiv-lustige Vaudeville-Bewegung des Westens keine großen Chancen in Deutschland. Mehr als ein Jahrhundert lang erhob sich eine selbstüberhebende deutsche Arroganz über diese „Kulturlosigkeit“. Sie wusste sich auch in den Nationalsozialismus zu integrieren und ihn zu überleben.

Die Ästhetik des Vaudeville dagegen war aber durchaus auch in den entsprechenden Schichten in Deutschland angekommen, nicht in den Theatern, aber auf Papier, im sich rasch ausweitenden Kolportagebuchhandel. Ihr beliebtester Repräsentant war Wihelm Busch mit seinen Bildergeschichten! Mit Max und Moritz, Fipps, der Affe, Hans Huckebein, der Unglücksrabe und später mit dem gewaltigen Erfolg des Sammelbandes  „HumoristischerHausschatz“.



Wilhelm Busch (8): Wilhelm Busch und die deutsche Literaturwissenschaft

Die deutsche Hochgermanistik hat sich immer auf vornehme Distanz zum „Volksschriftsteller“ Wilhelm Busch gehalten. Gute Analysen seiner Werke gibt es kaum, Biografien stammen eher nur von Journalisten. Die DDR-Germanistik hat ihm, obwohl Busch nun wirklich kein früher Sozialist war, in ihrer verdienstreichen „Geschichte der deutschen Literatur“ (8. Band, Zweiter Halbband, Berlin 1975), eine Reihe klug formulierter Seiten gewidmet, die ein Gespür für die Gesellschaftsgebundenheit Buschs zeigen.

In  der 68er-Generation nahm auch die BRD-Germanistik die Spur auf: Gert Ueding mit seinen zwei Bänden „Wilhelm Busch. Das 19. Jahrhundert en miniature“, Frankfurt am Main 1977 und „Buschs geheimes Lustrevier. Affektbilder und Seelengeschichten des deutschen Bürgertums im 19. Jahrhundert, Berlin/Wien 1982.  Seine Betrachtungen sind allerdings so breit und allgemein, dass vom Spezifischen an Wilhelm Busch nicht viel übrig bleibt.

In dem von Michael Vogt herausgegebenen Band „Die boshafte Heiterkeit des Wilhelm Busch“ (Bielefeld 1988; der Titel zeugt schlichtweg von Hilflosigkeit) sind sieben Beiträge versammelt, die auf die „Brüche, Verwerfungen und Abgründigkeiten eines nachhaltig deformierten kollektiven Affekthaushalts“  (Klappentext) verweisen sollen. Worauf dies hinauslaufen sollte, hat Volker Klotz zu einem damals gängigen Interpretationsschema konstruiert:

„Was Busch so inständig ins Bild setzt, ist Ausdruck eines fortdauernden, bis zum heutigen Tag noch unverheilten kollektiven Traumas. Es ist das Trauma der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848. (…) unverkennbar sind es die leitenden Grundsätze der bürgerlichen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - , die Busch in seinen Bildergeschichten fratzenhaft heraufbeschwört. (…)

Das Bürgertum in Deutschland hat (…) durch fortschreitende Kapitalisierung und Industrialisierung bewirkt, daß eine andersartige, ungewollte Gleichheit hereinbrach.. Die relative Gleichheit der Meisten im Zustand entfremdeter Arbeit und entfremdeter Natur. Buschs Helden spielen vor, wie das ist: wenn unterschiedslos der eine wie der andere mechanisch um sich schlägt in der immergleichen Objektrolle gegenüber anonymen Gewalten, die sie nicht kontrollieren können. Beim Aufstand der toten Gegenstände gegen die Menschen, die doch einmal diese Gegenstände zum eigenen Besten hervorgebracht haben. Aber auch beim Aufstand ihrer eigenen Triebe – des Hungers und des Dursts, der Sexualität und der schieren Narretei (…).“


 


Volker Klotz macht hier Gebrauch von einem in der 68er Generation beliebten simplifizierenden Argumentationsmuster: Die Generation der Kinder der Täter litt nämlich selber an einem Trauma, dem Trauma der Unerklärbarkeit des Holocaust, dem Trauma der deutschen Schuld. Das Fehlen einer bürgerlichen Revolution wurde gerne als Erklärung für das Aufkommen des Nationalsozialismus angeführt.

Klotz berichtet, dass er hiermit bei seinen Vorträgen im Ausland mehr Zustimmung erfahren hat, als in der Bundesrepublik.


Wilhelm Busch (7): Wilhelm Busch und ich

Immer noch sind die Bildergeschichten Wilhelm Buschs außerordentlich populär. In zahllosen Familien steht ein Wilhelm-Busch-Album, oft schon über mehrere Generationen weitergegeben. Das Hausalbum meiner Familie hat meine Mutter zu Weihnachten 1936 meinem Vater geschenkt.




Die Wilhelm-Busch-Gesellschaft wahrt das Andenken, hütet seinen „Humor“ und widmet lieber nicht zu viel Aufmerksamkeit seinen doch sehr merkwürdigen chaotischen und gewaltbetonten Seiten. Auch das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover pflegt für sein Publikum dieses Bild eines großen deutschen Komikers und fügt es zeitgemäß in gegenwärtige Karikatur und Komik ein.


Samstag, 12. Oktober 2024

Das aktuelle Spiegel-Titelbild: Listen machen Spaß

 


 Wer 1924 anfängt, fängt mit dem Zauberberg an, klar, aber dann, aber dann! Mir machen solche Listen immer Spaß, und die Spiegelredaktion sorgt schon dafür, dass der Leser ab und zu hä? sagt oder „Das doch bitte nicht!“ oder „Wo ist ….?“.

Mir fehlen auch ein paar, aber wenn der Zauberberg drin ist und Die Stunde zwischen Frau und Gitarre, dann ist alles gut.

P.S. Ich fürchte um die Liste zu sehen, muss man den Spiegel kaufen. Aber macht nichts: die zwei wichtigsten Titel wisst ihr ja schon.

Mal probieren: https://www.spiegel.de/kultur/literatur/spiegel-literaturkanon-die-besten-100-buecher-aus-100-jahren-a-e1e74cd7-9cd8-4743-9334-1622cab3ddb4?sara_ref=re-so-app-sh

Mittwoch, 9. Oktober 2024

Wilhelm Busch und Marie Anderson (6): Busch und die Frauen

In meinem Blog-Beitrag vom 23. September wird deutlich, wie Marie Anderson kurz nach ihren ersten Briefen an Wilhelm Busch und in Reaktion auf sein Porträtfoto ihre Beziehung zu ihm sah. 

Wir wissen das, weil sie einer engen Freundin in einem Brief darüber berichtet hatte: sie war verliebt, begehrte ihn und wollte was von ihm. Natürlich war sie auf eine persönliche Begegnung aus und ergriff die Gelegenheit, als er mit der Bahn zu seinem Verleger nach Heidelberg fahren wollte. Auch er war dazu bereit; ein kurzer Umweg über den Mainzer Bahnhof bereitete ihm auch keine große Mühe.
 
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