In derselben Zeit und Umgebung unseres zahmen Lebensexperiments „Kommune“ 1969/70 (siehe Beitrag vom 1. Januar) kamen in Westberlin die K-Gruppen auf, eine Reihe radikalkommunistischer Organisationen, die konspirativ arbeiteten und von Anfang an vom Verfassungsschutz observiert wurden.
Foto: Jens B. Brüning |
Im Sommer 1970 sitzen Jochen Schimmang, Jens B. Brüning und ich noch einmal idyllisch im Dahlemer Thielpark: Ich führte Arno Schmidts Kolossalbuch „Zettels Traum“ spazieren, das ich gerade für 295 DM erstanden hatte (mehr als mein Monatsstipendium) und das sonst feierlich aufgeschlagen auf einem Stehpult in meinem Zimmer lag. Und Jochen, das muss gesagt werden, liest hier ein Heftchen von Stalin: er war Mitglied einer „Organisation“ geworden, die uns auf Jahre voneinander entfremden sollte (er berichtet darüber in „Der schöne Vogel Phönix“, 1979, 134-141).
Zum selben Jahreswechsel 69/70 entstand auch die KPD/AO (=Aufbauorganisation), zu der unter anderen der junge Literaturwissenschaftler Helmut Lethen gehörte. Lethen berichtet darüber in seiner 2020 erschienenen Autobiografie "Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug" (S. 170):
„Eine ihrer ersten Zusammenkünfte sollte auf der Plattform der Siegessäule stattfinden, was manche nicht verrückt, sondern gefährlich fanden, sodass wir in die Evangelische Studentengemeinde Gelfertstraße, oft Treffpunkt des SDS, zogen – ein Ort, der für feindliche Beobachter an Transparenz nichts zu wünschen übrig ließ.“
So lagen in der ESG allerlei Schnittpunkte, und rückblickend habe ich den Eindruck, dass auch unsere liebenswerte Kommune vom Verfassungsschutz beobachtet wurde.
Immerhin hatte ich in jenem Sommer mein SPD-Parteibuch zurückgegeben, aus Protest gegen die Bewaffnung der Berliner Polizei mit kriegsähnlichen Waffen („Handgranatengesetz“). Das war für mich ein radikaler Akt. Übrigens war 1970 auch das Gründungsjahr der "Rote Armee Fraktion" (RAF).
Ich war als Sechzehnjähriger in die Leeraner SPD eingetreten, gegen den Willen meiner Mutter, die von Parteien die Nase voll hatte.
Die Situationen bei den Demonstrationen auf Berliner Straßen konnten sehr hart sein, ein Wunder, dass es nicht mehr Tote gegeben hat. Wir haben viel gesehen, was unser Vertrauen in die Polizei, sofern es denn vorhanden war, nachhaltig zerstört hat. Unser Studentenpfarrer, Karl Bernd Hasselmann, ein großer kräftiger Mann, hat einmal bei einer Kudammdemonstration einen durchdrehenden Knüppelpolizisten von hinten festgehalten. Das hat mir schmalem langen Würstchen enorm imponiert.
Jochen und Helmut kamen auf die schwarzen Listen, was ihren Berufsweg behindert und beeinflusst hat („Berufsverbot“). Helmut Lethen war Anfang der siebziger Jahre Wissenschaftlicher Assistent bei den Germanisten, danach ging er nach Utrecht. Ich war in keiner seiner Lehrveranstaltungen, aber zu Anfang meiner eigenen Assistentenzeit an der FU suchte er einmal Kontakt zu mir.
Dazu schreibe ich mehr in einer kleinen Serie über Lethens 2020 erschienene Autobiografie „Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug“. Ab morgen in diesem Theater.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen