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Dienstag, 20. November 2012

Der "Stille Ort": Monster Munch (Tourist) versus Peter Handke

Wo liegen die Quellen der deutschen Kreativität? Richtig: im deutschen Gymnasium und in der deutschen Provinz. Beide sind so öde, dass lebendige Geister sich nur unter konvulsivischen Zuckungen davon befreien können und – bei hinreichendem Talent - auf diese Weise den Ort finden, an dem sie sich zum Ausdruck bringen.

Damit es nicht heißt, dass Café Deutschland sich nur mit der (allerdings unausschöpfbaren) Berliner Szene beschäftigt, propagiere ich heute eine völlig unbekannte Gruppe aus der Provinz (genauer: aus Wunstorf), die sich sicher auch bald nach Berlin aufmachen wird: Marwin, Stefan und Timo mit ihrer Band Monster Munch. Ich habe sie auf der Website Neue-bands.de gefunden. Es gibt ein frei zugängliches Digital-Album von ihnen mit sieben Songs, davon vier auf Deutsch.
"Tourist” ist ihr Demo-Video:

(Zum Weiterlesen hier klicken:)




So many ghosts that I can see (I guess)
something might be wrong with my fantasy.
All the colours that I can call
're just waiting to outwit my dearest thought.
Sometimes you could hear me scream but
nobody would know what I could mean.
I seek the corner in my head
'need a place to rest an hide.
Too many impressions drive me insane.
I dont feel good or bad.
lost in an unknown truth I try to reconquer control.
Who else am I fighting than myself?
So I wont lose or win but both.
Like a tourist in my mind:
"well, quiet an interesting place"
On the way
down to sleep
never thoguht
this is me
a stranger
in my head.
So many ghosts that I can see (I guess)
something might be wrong with my fantasy.
All the colours that I can call
're just waiting to outwit my dearest thought.
Sometimes you could hear me scream but
nobody would know what I could mean.
I seek the corner in my head
'need a place to rest an hide.
And now I am here again
in front of a confused man.
I dont recognize myself
I'm the tourist in my mind.
This tourist wants to break out
no escape - means not his fault.
Every map he asks for help
laughs about him joyly.

On the way
down to sleep
never thoguht
this is me
a stranger
in my head.
A tragedy that fascinates
feeds me with thought of pain.
Everytime I look into the mirror
appears a shape
filled with fear.
Do you see?
He behaves like a bird
in a cage.
Endlich kann ich einem Beitrag einmal das Label “WC” verleihen. Und damit nicht genug. Der Zufall will es, dass ich gleichzeitig Peter Handkes neues Buch Versuch über den Stillen Ort lese. Darin gibt es eine Szene, in der der 19jährige Peter Handke genau das macht, was wir den Leadsänger der Gruppe Monster Munch, Marwin Brz, am Ende des Demo-Videos tun sehen: Er legt sich neben das Klo:
“Ich schloss mich ein in eine der Kabinen der Bahnhofstoilette, welche sich, wenn auch abseits, irgendwo im Inneren der Anlage befand.
Die Tür war zu öffnen mit einer Schilling-Münze, und als ich sie absperrte, spürte ich erst einmal eine gewisse Geborgenheit oder Aufgehobenheit. Ich habe mich umstandslos auf den gekachelten Boden gelegt, den Seesack als Nackenpolster. Die Kabine war freilich so klein, dass an ein Ausstrecken nicht zu denken war, und deshalb habe ich mich, den Kop fan der Hinterwand, in einer Art Halbkreis um die Klosettmuschel geringelt. Das Licht in der eher weitläufigen Bedürfnisanstalt, ziemlich hell, weiß, blieb die ganze Nacht an und kam nur leicht gedämpft in die nach oben und, für etwa eine Kinderfußbreit, auch nach unten offene Kabine.”
Peter Handke, Versuch über den Stillen Ort, Berlin 2012, 34f.
Handke schreibt von der Rolle, die Toiletten für ihn in seiner Jugend als Fluchtort gehabt haben: Ein Ort, an dem man für sich ist und die Umwelt ausschließen kann. Das hat für ihn in seiner Zeit im Internat eine Rolle gespielt und einmal auf einer einsamen Reise, als er kein Geld zum Übernachten hatte: Da hat er sich für eine Nacht auf die Bahnhofstoilette zurückgezogen (siehe oben).
Später war er in der Lage, sich die stillen Orte selbst zu schaffen, auch bei unruhiger Umgebung. Sein Buch ist keine Scheißhausliteratur und keine Geschichte des Klos, sondern es handelt von allerlei Beispielen und der Funktion eben dieser Abgeschlossenheit.
Verblüffend fand ich, das die drei Schüler des Wunstorfer Hölty-Gymnasiums für ihre Demo zum Song “Tourist” ebenfalls das Klo als Ort gewählt haben. “I seek the corner in my head/Need a place to rest an hide.” Mit ihrem Klo-Rock füllen sie den Stillen Ort so ganz und gar aus, dass nichts mehr von außen eindringen kann: Das ist derselbe Vorgang wie bei Handke. Nur ersetzt hier das absolute Getöse die absolute Ruhe.
“Der Ort hat mich begeistert”, schreibt Handke über eine Toilette in einem japanischen Tempel. “Ja, an dem Stillen Ort dort wirkte ein ‘Geist’, welcher für ‘Ruhe’ sorgte, zugleich einem Beine machte, einen auf die Sprünge brachte – ein Geist der Unruhe, der Unbändigkeit, einer dahergezauberten, der Unverwundbarkeit.” (Handke, 68)
Schaut Euch jetzt noch einmal das Video “Tourist” an, und Ihr werdet diesen ‘Geist’ erfahren.
Auf die “Ödnis” des deutschen Gymnasiums und der deutschen Provinz vom Anfang meines Beitrags muss ich noch einmal zurückkommen: Vielleicht ist sie ja gerade nötig, um die kreativen Geister zu wecken. Alles Dialektik?


Hölty-Gymnasium Wunstorf, Hindenburgstraße (sic!)
 


2 Kommentare:

  1. http://handke--revista-of-reviews.blogspot.com/2012/10/versuch-uber-den-stillen-ort-reviews.html

    http://handke-magazin.blogspot.com/2010/06/handke-magazine-is-over-arching-site.html

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  2. Herzlichen Dank für den reichhaltigen Handke-Link.

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