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Samstag, 12. April 2025

Der „Sitzende Jüngling“ von Jeltsema (8): Der Jüngling in seiner Umgebung

Was die Platzierung der Statue betrifft, hat die Gemeinde Groningen 1960 eine glückliche Hand gehabt. Mir ist nicht bekannt, ob hierbei auch ein Wunsch von Fré Jeltsema eine Rolle gespielt hat. Der lebensgroße sitzende Bronzejüngling passt in Gestaltung und Haltung perfekt auf den ihn umgebenden Emmaplein.

Der Emmaplein befindet sich im schönsten Bereich der Innenstadt zwischen zwei breiten Alleen mit Grünstreifen und alten ehrwürdigen Bürgerhäusern und Villen. Der Platz ist kreisrund und mit Ausnahme der schmalen Querwege vollständig mit alten Bäumen, Gras und Blumen bepflanzt. Eine Busspur führt mitten durch den Platz, der restliche Verkehr fährt im Kreis drumherum. Das war übrigens schon in Jeltsemas Jugend so, nur fuhr hier damals die Tram, die den Großen Markt mit dem Bahnhof verband.

Die Haltestelle mit Wartebänken sorgt für ein (nicht sehr betriebiges) Ein- und Aussteigen von Fahrgästen. Der Jüngling sitzt in zehn Metern Entfernung und scheint sich die Vorübergehenden anzuschauen. Außer seiner Nacktheit ist an ihm nichts Auffälliges. Er ist von allen Seiten gleichwertig zu betrachten und fügt sich natürlich auf dem Platz ein. In Frontansicht schaut er dem Betrachter gerade in die Augen. Er hat etwas völlig Selbstverständliches. Vielleicht fällt er deshalb kaum jemandem wirklich auf. Viele meiner Groninger Bekannten erinnern sich nicht an ihn, wenn ich sie nach dem Emmaplein frage.

Foto: PG

Der Jüngling sitzt auf einem Felsblock, das rechte Bein angezogen, die große rechte Hand ruht auf dem Knie. Das linke Bein ist etwas ausgestellt, der linke Ellenbogen liegt lässig auf dem Oberschenkel. Er hat einen wachen Blick. Die Beinhaltung ist anders als beim antiken Merkur, und auch der gerade Blick findet sich dort nicht. Die Frisur ist ein lockerer Haarschopf, zeitloses 20. Jahrhundert. Stehend wäre er etwa 180cm groß. Für seinen schlanken Körperbau hat er ziemlich breite Hände und Füße. Die Rückenansicht ähnelt sehr dem römischen Merkur. Das Rückgrat ist mehr akzentuiert. Der Jüngling ist schlanker und größer als das antike Vorbild. Er ähnelt auch heute noch einem richtigen Groninger Jungen von ca. 16 Jahren.

„Zittende jongeling“, Rückansicht (Foto: PG)


Jeltsema hat hier in Anlehnung an den antiken Merkur ein eigenes Kunstwerk geschaffen und zwar in dem Stil und in der Wirkungsart vom Höhepunkt der griechischen Skulptur, die er als unüberholbaren Höhepunkt der Kunst an sich empfand. Modernistische Tendenzen, die in seiner Jugend aufkamen, hat er ignoriert, und er hat darunter gelitten, daß die Welt sich in seinen besten Jahren einer völlig anderen Art von Kunst zuwandte. Als er nicht mehr „in“ war, zog er sich zurück. Er konnte es sich leisten.

Wohl war es ihm im Alter (1960 war er 81 und krank) ein Bedürfnis, zwei seiner schönsten Werke der Stadt Groningen zu schenken, dem Ort, an dem seine Laufbahn als Künstler, (bis 1906 offiziell noch als Künstlerin aber körperlich doch ein Mann), begonnen hatte. Da liegt die Vermutung nahe, dass er diese Skulpturen sowohl als ästhetische als auch als identitätsausstrahlende Botschaft und als Vermächtnis an die Stadt seiner Jugend verstanden hat. Der Jüngling wäre also ein Selbstbildnis im idealen und offensiven Sinn.

Und er schenkte sich als Mann und Frau: bei der anderen Skulptur handelt es sich ja um eine nackte Bacchantin in Marmor. Auf sie komme ich noch zurück.


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