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Donnerstag, 10. April 2025

Der „Sitzende Jüngling“ von Jeltsema (7): Der „Sitzende Merkur“ aus Herkulaneum (2)

Hermes/Merkur ist der vielseitigste Gott der griechisch/römischen Antike. Am bekanntesten ist er als Gott des Handels. Aber er ist auch der Gott des Gehens und des Reisens, der Begleiter der Toten, der Gott der Diebe, der Götterbote. Immer ist er aktiv und in Bewegung. Zumeist zeigen ihn Kunstwerke mit mehreren seiner Insignien: dem geflügelten Helm, dem Caduceus (ein Stab, mit dem er Menschen in Schlaf versetzen kann), der Leier, den geflügelten Sandalen und oft auch dem Geldbeutel.

Auffällig am „Sitzenden Hermes“ ist, daß er sehr jung ist (Carol Mattusch schätzt ihn in ihrem Buch über die Villa dei papiri auf 12 Jahre) und dass er sitzt, sich also im Zustand der Ruhe befindet, für Merkur höchst ungewöhnlich. Als Merkur erkennbar ist er nur an den geflügelten Sandalen. Der Caduceus ist abgebrochen und verschwunden. Er streckt das rechte Bein aus und scheint ein wenig ermüdet zu sein oder Schmerzen am Fuß zu haben. Ein Moment der Besinnung für den sonst so Rastlosen.

Winckelmann vermutete, daß er von „auswärts“ gekommen sein muss, als eine der Tausenden Statuen, die die Römer aus Griechenland mitgenommen haben. Seine Machart verweist auf das 4. Jahrhundert vor Christus, eventuell die Schule des Lysippos.

Das Besondere an den Skulpturen jenes Jahrhunderts ist ihre Natürlichkeit und ihre Einbettung in Zeit und Raum. Die Figur ist lebendig in einem bestimmten Augenblick abgebildet und zu 360 Grad in den umgebenden Raum eingefügt: Man kann um sie herumgehen, und jede Ansicht ist gleichwertig. Der Betrachter gerät in einen Austausch mit der Figur. Diese Phase gilt als Höhepunkt der griechischen Bildhauerei.

Fré Jeltsema muss von ihm überwältigt gewesen sein. Dass er ihn in Italien gesehen hat, steht außer Frage. Wir wissen nur nicht, wann. Möglicherweise schon 1906 während seines ersten Aufenthalts in Florenz als Mann. Er war in der Zeit auch in Rom. Und/oder er ist nach 1906 mit seiner Mäzenin auf einer ihrer ausgedehnten gemeinsamen Kunstreisen nach Neapel gefahren. Das erscheint mir sowieso sehr wahrscheinlich. Natürlich muss er sich als Bildhauer auch für die handwerklichen Aspekte interessiert und über die Herstellung lebensgroßer Bronzen informiert haben, auch in Neapel, an der Quelle so vieler Skulpturen. Europaweit bekannt war dort die technisch führende Gießerei von Giorgio Sommer. Wie sonst hätte Jeltsema für sich selbst, ohne Auftrag, in Den Haag seinen „Sitzenden Jüngling“ erschaffen und gießen lassen können?

Für uns Gegenwärtige gibt es einen Ort, an dem sich nachempfinden lässt, wie der „Sitzende Merkur“ im Gartenhof der Villa dei papiri platziert war und gewirkt hat: die Getty Villa in Pacific Palisades (Los Angeles). Getty hat diese Villa weitgehend nach dem architektonischen Vorbild aus Herculaneum bauen lassen:

Villa Getty. Im Vordergrund der Sitzende Merkur in Rückenansicht




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