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Montag, 30. November 2020

Klaus Heinrich: Der schwitzende Gott und Ich

Vor einer Woche ist Klaus Heinrich (1927-2020) gestorben, einer der Mitbegründer der Freien Universität Berlin 1948 (als Student!). Seine Lehrveranstaltungen als Professor für Religionswissenschaft an der FU in den siebziger und achtziger Jahren sind legendär. Ich habe im Wintersemester 1969/70 an seiner Vorlesung „Zum Begriff des Symbols und zur Theorie der Symbole“ teilgenommen. Es war mein fünftes Semester. Ich lebte in der Zeit in einer progressiv-evangelischen „Kommune“ im Burckhardthaus in Berlin-Dahlem.

Über den Freund meiner Schwester hatte ich einen dicken gestrickten Wollpullover mit extrem großem Rollkragen erhalten (Rollkragenpullover, Pfeife-Rauchen und Existentialismus waren – neben Marxismus - damals  absolut „in“). Als ich einmal damit im Thielpark auf einer Bank saß und las, näherte sich mir eine ältere Dame und äußerte sich mit Worten, die ich leider vergessen habe, in großer Freude über meinen Anblick. Sie ließ mich etwas verwirrt zurück, denn so etwas war ich nicht gewöhnt.

Ein Foto aus dem Jahr, leider ohne den Pullover


Wenig später saß ich mit ebendem Pullover in der Vorlesung von Klaus Heinrich. Heinrich las nicht, er sprach. Er sprach, ungeheuer intensiv und wie gedruckt. Er veröffentlichte wenig. Seine Verehrer haben später ihre Mitschriften von den Vorlesungen für ihn drucken lassen. Er sprach an diesem Tag über den schwitzenden Gott. Ich habe heute versucht nachzuvollziehen, worum es dabei ging. Aber auf Google fand ich nur den Blut schwitzenden Jesus. Der war’s nicht, glaube ich.

 

Die Vorlesung fand in einer kleinen Villa in Dahlem statt. Der Raum war rappelvoll, aber nicht mehr als etwa zwanzig Leute. Wer keinen Stuhl gefunden hatte, saß auf dem Boden. Ich saß etwas exponiert an einer Säule. Während des unglaublich intensiven Redens von Klaus Heinrich über den schwitzenden Gott begann ich zu schwitzen, ganz extrem, so wie ich noch nie geschwitzt hatte, und es hörte nicht auf. Ich fühlte mich schrecklich, dachte, dass jeder es sehen würde. Den Raum zu verlassen, war ausgeschlossen. Eine Qual, Opfer eines Gottes zu sein! Ich habe nie jemandem etwas davon erzählt. Einen intensiveren Dozenten als Klaus Heinrich habe ich nie gehabt.

Donnerstag, 26. November 2020

Nietzsche (18): Vom Ertragen der Gegensätze

Die Philologen haben Nietzsche nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, ihn zu verstehen. (P.G.)

 

Friedrich Nietzsche wurde 1844 geboren und starb nach einer mehr als zehnjährigen Periode des Wahnsinns im Jahre 1900. Er war mit Leib und Seele ein Mann des 19. Jahrhunderts, auch wenn er meinte, der Welt die Philosophie der Zukunft geschenkt zu haben.

 

Nietzsche war in vieler Hinsicht auf der Höhe seiner Zeit, nur in den Naturwissenschaften glaubte er noch weiterer Studien zu bedürfen. Zu diesem angestrebten zehnjährigen Sabbatical ist er aber nicht mehr gekommen. Seinen ungewöhnlichen Plan jedoch, nach dem von ihm verkündeten Tode Gottes aus der Philosophie eine den modernen Naturwissenschaften anempfundene Experimentalwissenschaft zu machen, hat er – auf seine Weise - verwirklicht. Die Grundlagen hierfür bezog er aus einem Bereich, der ihm zutiefst vertraut war: der genialischen Frühgeschichte seines Jahrhunderts mit dem deutschen Klassizismus und der romantischen Universalpoesie. Um Nietzsche zu verstehen, muss man nicht ins 20. oder gar 21. Jahrhundert blicken, sondern auf die drei, vier Jahrzehnte um das Jahr 1800 herum: auf Goethe, Herder und Hamann, auf Friedrich Schlegel, Novalis und Fichte. Schließlich - und das sollte man nie vergessen: Er war ein Philologe!

 

Allerdings: ein Abtrünniger! Die Philologie war ihm nicht genug. Nach seiner frühen Professur für Klassische Philologie in Basel strebte er eine Professur für Philosophie an, um eine bessere Basis für sein Projekt einer poetischen Philosophie zu bekommen. Die hat er nie erhalten, und so begann er eine Existenz als wandernder freier Denker. Er wollte Natur und Wissenschaft, Kunst und Philosophie zu einer Art Gesamtkunstwerk zusammenführen. Das entsprach der Logik aus dem Tode Gottes: der Mensch wird aus der Metaphysik in die radikale Immanenz geworfen und dadurch verpflichtet, sich selbst zu erschaffen.

 


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