Die Idee zu
diesem Blog kam mir Anfang Januar diesen Jahres bei einem Kurzurlaub auf
Schiermonnikoog. Das Wetter war strahlend schön, die Luft trotz der Kälte
überraschend sanft, und wir saßen draußen (!) auf der Terrasse des Strandhotels
Noderstraun und guckten in den prachtvollen, den Himmel in ein vielfältig
gestuftes Rot versetzenden Sonnenuntergang über der Nordsee.
Ich trank ein
sogenanntes Sylvesterbier und konnte es dabei nicht ganz lassen, an meine
Arbeit zu denken. Dabei ging mir ein Licht auf: warum nicht einen Ort schaffen,
und sei es einen virtuellen, an dem sich Leute für einen kurzen Augenblick in entspannter Atmosphäre über die kulturellen
Seiten ihres Berufs unterhalten können. Das ist der Augenblick zwischen Arbeit
und Feierabend, der Augenblick des Abendrots, den man mit einem dazu passenden
Getränk noch verschönern und intensivieren kann.
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Sonntag, 29. Januar 2012
Hotel Amour. Terranova
Immer wieder dringe
ich mit der Kombination Zeitung/iPad in kulturelle Gefilde vor, die mir aus
Altersgründen verschlossen geblieben sind beziehungsweise wo ich gar nicht auf
die Idee gekommen wäre, dass mir da etwas gefallen könnte. Punk und House usw. haben
sich nach meiner Jugend abgespielt und ich brauche darin nicht up to date zu
sein, dachte ich.
Von dem Berliner (und New Yorker, Londoner, Pariser) DJ Fetisch hatte ich bis heute nie etwas gehört und von seinem Projekt Terranova auch nicht. Jetzt sah ich, dass im Februar eine CD von ihm mit dem Titel Hotel Amour und hohem Lob vom SPIEGEL herauskommt. Mein iPad führt mich direkt zu dem Song „I want to Go Out“ aus dieser CD auf YouTube, und siehe da: was für eine fantastische (minimalistische) Musik und was für ein wunderschöner Videoclip:
Was die deutsche Punkszene betrifft, gibt es das ultimative Buch von Jürgen Teipel: „Verschwende deine Jugend. Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave“ (Frankfurt am Main 2001). Teipel hat jeden, der in dieser Szene in Deutschland eine Rolle gespielt hat, interviewt und daraus eine Kulturgeschichte ganz eigener Art gemacht.
Von dem Berliner (und New Yorker, Londoner, Pariser) DJ Fetisch hatte ich bis heute nie etwas gehört und von seinem Projekt Terranova auch nicht. Jetzt sah ich, dass im Februar eine CD von ihm mit dem Titel Hotel Amour und hohem Lob vom SPIEGEL herauskommt. Mein iPad führt mich direkt zu dem Song „I want to Go Out“ aus dieser CD auf YouTube, und siehe da: was für eine fantastische (minimalistische) Musik und was für ein wunderschöner Videoclip:
Was die deutsche Punkszene betrifft, gibt es das ultimative Buch von Jürgen Teipel: „Verschwende deine Jugend. Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave“ (Frankfurt am Main 2001). Teipel hat jeden, der in dieser Szene in Deutschland eine Rolle gespielt hat, interviewt und daraus eine Kulturgeschichte ganz eigener Art gemacht.
Samstag, 28. Januar 2012
Café Deutschland: Jörg Immendorff
„Café
Deutschland“ heißt eine Serie von sechzehn Gemälden des deutschen Malers Jörg
Immendorff (1945-2007), in der er in den siebziger und achtziger Jahren die
kulturellen und politischen Zustände im geteilten Deutschland thematisiert hat.
Das erste aus dieser Reihe entstand 1978 und ist hier abgebildet. Wir sehen den
Maler selbst, wie er seine Hand durch die Mauer hindurch seinen Freunden in der
DDR reicht:
Sein radikalstes Bild „Hört auf zu malen“ (1966) ist das eher unbekannt gebliebene malerische Pendant zur berühmten Parole vom „Tod der Literatur“, dem Titel der fünfzehnten Nummer (1968) der damals von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen Apo-Zeitschrift „Kursbuch“.
Er hat nicht aufgehört zu malen; es ging wohl auch eher darum, dass alles seine Zeit hat: das Malen hat seine Zeit, die politische Aktion hat ihre Zeit, das Lesen hat seine Zeit, die Rebellion hat ihre Zeit.
Sein radikalstes Bild „Hört auf zu malen“ (1966) ist das eher unbekannt gebliebene malerische Pendant zur berühmten Parole vom „Tod der Literatur“, dem Titel der fünfzehnten Nummer (1968) der damals von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen Apo-Zeitschrift „Kursbuch“.
Er hat nicht aufgehört zu malen; es ging wohl auch eher darum, dass alles seine Zeit hat: das Malen hat seine Zeit, die politische Aktion hat ihre Zeit, das Lesen hat seine Zeit, die Rebellion hat ihre Zeit.
Darüber kann man
in unserem Café Deutschland auch nachdenken und das zu finden
versuchen, das nun, heute – meine, deine – seine Zeit hat.
Freitag, 27. Januar 2012
Befreiung von Auschwitz
Der 27. Januar ist nicht nur der Geburtstag von Mozart, sondern auch der Gedenktag zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz.
Mozart hat Geburtstag
Wolfgang Amadeus Mozart hat Geburtstag. Er wäre heute 256 Jahre alt geworden. Na, ja... Jedenfalls herzlichen Glückwunsch!
Fritz Lang, Frau im Mond
In meiner Science-Fiction-Sammlung befindet sich auch der Roman Frau im Mond (1928) von Thea von Harbou. Ich habe ihn nie ganz gelesen. Dass es eine Verfilmung von Fritz Lang gibt, wusste ich, habe mich aber auch darum nie groß gekümmert. Der Titel allerdings ist so prägnant, dass er mir immer im Kopf geblieben ist. Thea von Harbou war übrigens die Frau von Fritz Lang. Frau im Mond (1929) ist sein letzter Stummfilm.
Schon beim ersten
Check auf Youtube war ich begeistert, was dieser Film alles an Trickelementen
enthält und wie groß die Ambitionen von Lang waren, ein für seine Zeit
realistisches Bild von der Raketenreise und der Mondoberfläche zu erzeugen. Ich
bringe hier die Szene der Landung und des ersten Betretens des Mondes als Beispiel.
Der komplette Film steht offenbar im Internet zum legalen Download bereit. Ich muss ihn mir noch angucken. Übrigens finde ich auch das Filmplakat fantastisch. Fritz Lang hat den Count Down zum Start erfunden. Er fand das Rückwärtszählen Richtung Null spannender, weil man dann auf den ausrechenbaren Höhepunkt zuzittert. Seine Rakete (nicht die auf dem Plakat) ähnelt der späteren V2. Hermann Oberth, einer der Ingenieure aus dem Team Wernher von Brauns war als Berater für Lang tätig. Leider ist der Mond auf dem Plakat nicht zu sehen.
An der Theke
An der Theke sitze ich im Moment noch ganz alleine. Sie ist fuer Mitteilungen und Bemerkungen gedacht, die unter den anderen Labels nicht unterzubringen sind.
Ich lade meine Freunde und Bekannten, meine Kollegen und Studenten und alle Interessierten ein, sich an diesem Blog zu beteiligen. Auf Wunsch erhaltet ihr Zugang und könnt dann mit eigenen Beiträgen das Café Deutschland bunter und reichhaltiger machen.
Ich lade meine Freunde und Bekannten, meine Kollegen und Studenten und alle Interessierten ein, sich an diesem Blog zu beteiligen. Auf Wunsch erhaltet ihr Zugang und könnt dann mit eigenen Beiträgen das Café Deutschland bunter und reichhaltiger machen.
Der Freischütz in Baden-Baden (2009)
Im Festspielhaus
Baden-Baden hat es doch tatsächlich das gegeben, worauf ich seit Jahren
gewartet habe: einen Freischütz, der
das Völkisch-Folkloristische hinter sich lässt. Er wurde am 30. Mai 2009 live
auf Arte übertragen. Wir fanden ihn wunderschön.
Zwischen dem
Publikum im Festspielhaus Baden-Baden würde ich mich nicht wohlfühlen, und die
Preise beginnen auf einem Niveau, wo sie an der Staatsoper Berlin enden. Aber
immerhin: sie haben dort ein klein bisschen Mut zu ein klein bisschen
Erneuerung. Robert Wilson durfte den Freischütz
machen und er machte ihn farbenreich, stilisiert, verfremdet und ironisch. Der
Haupteffekt lag in den teils üppigen Kostümen, die von dem Amsterdamer
Designer-Duo Viktor & Rolf entworfen wurden.
Die Rezensionen
sprechen, zu Unrecht wie ich finde, von einer Freischütz-Revue. Das war es
nicht, denn Wilson hält sich (abgesehen von einer Pauseneinlage mit Baudelaire)
an Text, Musik und Intention von Carl Maria von Weber. Das einzige
Revue-Element ist der Jägerchor, der aber auch bei Weber schon etwas davon hat.
Wilson betont mit ästhetischer Unterstützung von Viktor & Rolf das latent
schwule Element der Männergemeinschaft der Jäger, auch das scheint mir völlig
angemessen und im Übrigen hochvergnüglich.
Bei der Gelegenheit habe ich auch erfahren, dass Robert Wilson schon einmal eine Art Freischütz-Musical inszeniert hat und zwar zusammen mit Tom Waits: The Black Rider. Ich habe fast alles von Tom Waits, dies aber ist mir irgendwie entgangen. Husch Amazon.de Bestellung, zwei Tage spätere ist er da. Dies hat aber mit Weber eher wenig zu tun und viel mehr mit Brecht.
Donnerstag, 26. Januar 2012
Deutsche Amerikabücher: Wolfgang Büscher, Hartland
Eine völlig
verrückte Idee: zu Fuß durch die Vereinigten Staaten zu laufen, von der
geografischen Mitte der kanadisch-amerikanischen Grenze nach Süden bis zur
mexikanisch-amerikanischen Grenze. Das sind gut 5000 Kilometer. Eine beinahe
kriminelle Idee! Und so wird Wolfgang Büscher bei der Einreise in die USA auch zunächst
einmal stundenlang verhört und gefilzt.
Und dann läuft er los. Gut, ab und zu lässt er sich mitnehmen. Die Amerikaner sind ein freundliches Volk, sogar gegenüber Fußgängern. Dass jemand durch ihr Land läuft und darüber schreiben will, ist ihnen gleichwohl unverständlich.
Es ist ein hartes Land, das bekommt Büscher dauernd zu spüren, und so nennt er sein Buch auch nach einem der ersten Orte, durch die er kommt, „Hartland“. Er kommt auf seiner monatelangen Wanderung kaum durch große, bekannte Städte und auch nicht durch den Reichtum und die Schönheit des Ostens und des Westens. Nein, es sind viele öde kleine Städte ohne Zentrum und Kultur und mit stets denselben Motels. Aber er begegnet fortwährend Leuten, über die er erzählen kann und so wird es ein spannendes und abwechslungsreiches echtes Amerikabuch.
Im Gepäck hat er die Reisebeschreibung von Maximilian Prinz zu Wied, der 1832 zusammen mit dem Zeichner Carl Bodmer zwei Jahre durch Amerika gezogen ist. Büscher kommt dauernd durch Indianerreservate und nimmt immer wieder Bezug auf die Vertreibung und Ausrottung der verschiedenen Stämme. Sein Buch ist von einer ganz eigenen, von Büscher erschaffenen Gattung: so ist er auch von Berlin nach Moskau gelaufen, um Deutschland herum, durch Asien: kein Flaneur, kein Wanderer, kein Landstreicher, sondern eine eigenartige Mischung daraus. Ein größerer Gegensatz zu dem Amerikabuch von Christa Wolf ist kaum zu bedenken.
Und übrigens: er ist kein junger Mann mehr, sondern 59 Jahre alt, 2010, im Jahre des langen Laufens. Alle Achtung!
Und dann läuft er los. Gut, ab und zu lässt er sich mitnehmen. Die Amerikaner sind ein freundliches Volk, sogar gegenüber Fußgängern. Dass jemand durch ihr Land läuft und darüber schreiben will, ist ihnen gleichwohl unverständlich.
Es ist ein hartes Land, das bekommt Büscher dauernd zu spüren, und so nennt er sein Buch auch nach einem der ersten Orte, durch die er kommt, „Hartland“. Er kommt auf seiner monatelangen Wanderung kaum durch große, bekannte Städte und auch nicht durch den Reichtum und die Schönheit des Ostens und des Westens. Nein, es sind viele öde kleine Städte ohne Zentrum und Kultur und mit stets denselben Motels. Aber er begegnet fortwährend Leuten, über die er erzählen kann und so wird es ein spannendes und abwechslungsreiches echtes Amerikabuch.
Im Gepäck hat er die Reisebeschreibung von Maximilian Prinz zu Wied, der 1832 zusammen mit dem Zeichner Carl Bodmer zwei Jahre durch Amerika gezogen ist. Büscher kommt dauernd durch Indianerreservate und nimmt immer wieder Bezug auf die Vertreibung und Ausrottung der verschiedenen Stämme. Sein Buch ist von einer ganz eigenen, von Büscher erschaffenen Gattung: so ist er auch von Berlin nach Moskau gelaufen, um Deutschland herum, durch Asien: kein Flaneur, kein Wanderer, kein Landstreicher, sondern eine eigenartige Mischung daraus. Ein größerer Gegensatz zu dem Amerikabuch von Christa Wolf ist kaum zu bedenken.
Und übrigens: er ist kein junger Mann mehr, sondern 59 Jahre alt, 2010, im Jahre des langen Laufens. Alle Achtung!
Das Ornament der Masse
Es gibt einen
schönen Essay mit dem Titel ‘Das Ornament der Masse’, den Siegfried Kracauer
1927 geschrieben hat. Kracauer schreibt über den neuen Umgang mit dem
menschlichen Körper in den Revuetheatern, in den Stadien, in den Kinos seiner
Zeit:
‚Mit den Tillergirls hat es begonnen. Diese
Produkte der amerikanischen Zerstreuungsfabriken sind keine einzelnen Mädchen
mehr, sondern unauflösliche Mädchenkomplexe, deren Bewegungen mathematische
Demonstrationen sind. Während sie sich in den Revuen zu Figuren verdichten,
ereignen sich auf australischem und indischen Boden, von Amerika zu schweigen,
in immer demselben dichtgefüllten Stadion Darbietungen von gleicher
geometrischer Genauigkeit. Das kleinste Örtchen, in das sie noch gar nicht gedrungen
sind, wird durch die Filmwochenschau über sie unterrichtet. Ein Blick auf die
Leinwand belehrt, dass die Ornamente aus Tausenden von Körpern bestehen,
Körpern in Badehosen ohne Geschlecht. Der Regelmäßigkeit ihrer Muster jubelt
die durch die Tribünen gegliederte Menge zu.‘
Siegfried
Kracauer, Das Ornament der Masse,
Frankfurt am Main 1977, 50-63
Die Europäer der
zwanziger Jahre beschäftigten sich obsessiv mit dem Thema der Massen. Die
intellektuelle Elite hatte Angst vor der Masse, Angst vor der erwarteten
Überbevölkerung. Der Erste Weltkrieg und die Russische Revolution hatten
vorgeführt, was aggressive Massen bewirken können. Die Kulturbürger suchten
tieferschrocken nach Erklärungen und Rezepten zur Kontrolle der kulturlosen Massen.
Kracauer stellt das
Phänomen des ornamentalen Kollektivkörpers in einen Zusammenhang mit dem
kapitalistischen Produktionsprozess. „Den Beinen der Tillergirls entsprechen
die Hände in der Fabrik.“ Vielleicht konnte es ihm 1927 noch nicht auffallen,
dass alle drei großen Ideologien der zwanziger und dreißiger Jahre in ihren
ästhetischen Produkten die Masse als Ornament vorführten: nicht nur der
amerikanische Kapitalismus, sondern auch der sowjetische Kommunismus und der deutsche
Nationalsozialismus.
Alle drei politisch-ideologischen
Systeme, die in diesen Jahrzehnten miteinander konkurrierten und schließlich
durch den deutschen Faschismus in die Weltkatastrophe gejagt wurden, gebrauchten
Körperbilder und ornamentale Strukturen in Massenszenen, die sich verblüffend
ähneln. Die romantisierte Lebenswelt der amerikanischen Kavalleriesoldaten in
John Fords Western der dreißiger bis fünfziger Jahre präsentiert sich uns in
absolut vergleichbaren Bilder- und Männerwelten wie in Leni Riefenstahls
Wehrmachtsfilm von 1935 (Tag der Freiheit
– Unsere Wehrmacht).
Ich habe diese
Ähnlichkeit nirgendwo in der Literatur thematisiert gesehen. Um sie feststellen
zu können, muss man beide Bilderwelten gesehen haben und die Ähnlichkeit
zunächst einmal konstatieren. Und wenn man sie nicht akzeptieren will, muss man
sich klarmachen, worin Fords Nähe zu
Riefenstahl besteht und was bei Riefenstahl so entsetzlich über Ford
hinausgeht. Die Augen schließen hilft nicht.
Max Prosa
Und wieder einmal
hinke ich hinterher. Die ZEIT hat in ihrer vorletzten Ausgabe dem jungen
Wuschelkopf aus Berlin einen fast euphorischen Artikel gewidmet, zu dem ich mir
mit iPad-Begleitung direkt das Anschauungsmaterial geholt habe.
Bei aller In-den-Himmel-Heberei
mit dem „deutschen Bob Dylan“ sollten wir erst mal am Boden bleiben, aber ich
freue mich über seinen frisch-nuscheligen Stil:Jukebox
Unter dem Label „Jukebox“ können die Gäste von Café Deutschland
potentiell Artikel über alles unterbringen, was mit der Musikszene in den
deutschsprachigen Ländern zu tun hat, also die ganze Palette vom Minnesang über
die klassische Musik bis zu HipHop und Techno.
Natürlich war die klassische Jukebox, die man nur noch
als antike Sammlerstücke zu sehen und zu hören bekommt, viel beschränkter in
der Auswahl, aber für die Jugend in der Mitte des 20. Jahrhunderts war sie ein
aufregendes Erlebnis. Der österreichische Schriftsteller Peter Handke hat ihr ein
wunderschönes kleines Buch gewidmet.
Sein Versuch über
die Jukebox (1990) ist auch für Leute, die bei Erwähnung des Namens Handke
schmerzlich aufstöhnen, ein sehr lesbares, ein sehr konkretes, ein sehr
anrührendes Buch, jedenfalls, wenn sie der Generation angehören, deren erste
Musikerlebnisse mit dieser erstaunlichen Maschine verbunden waren. Hier ist
eine Kostprobe:
„Die Box spielte, aber er wartete wie immer
auf die von ihm selbst gedrückten Nummern; dann erst war es richtig. Auf
einmal, nach der Plattenwechselpause, die, mitsamt ihren Geräuschen – dem
Klicken, dem Suchsurren, hinwärts und herwärts durch den Gerätebauch, dem
Schnappen, dem Einrasten, dem Knistern vor dem ersten Takt -, gleichsam zum
Wesen der Jukebox gehörte, scholl von dort aus der Tiefe eine Musik, bei der er
zum ersten Mal im Leben, und später nur noch in den Augenblicken der Liebe, das
erfuhr, was in der Fachsprache ‚Levitation' heißt, und das er selber mehr als
ein Vierteljahrhundert später wie nennen sollte: ‚Auffahrt'? ‚Entgrenzung'?
‚Weltwerdung'? Oder so: ‚Das – dieses Lied, dieser Klang – bin jetzt ich; mit
diesen Stimmen, diesen Harmonien bin ich, wie noch nie im Leben, der geworden,
der ich bin; wie dieser Gesang ist, so bin ich, ganz!‘? Ohne zunächst wissen zu
wollen, wer die Gruppe war, deren Stimmen, getragen von den Gitarren,
gleichermaßen einzeln, durcheinander und endlich unisono erbrausten – er hatte
in den Jukeboxen bisher die Allein-Sänger bevorzugt – staunte er einfach. Als
er dann aber bei seinem selten gewordenen Radiohören einmal erfuhr, wie der
Chor der frechen Engelszungen hieß, die mit ihrem mir nichts, dir nichts hinausgeschmetterten
‚I want to hold your hand', ‚Love me do', ‚Roll over Beethoven' alles Gewicht
der Welt von ihm nahmen, wurden das die ersten sozusagen ‚unernsten' Platten,
die er sich kaufte (er kaufte in der Folge fast nur noch solche). Und heute
noch dachte er, das Anfänger-Schallen der Beatles im Ohr, aus jener von
Parkbäumen umstandenen Wurlitzer: Wann würde je wieder solch eine Anmut in die
Welt treten?“
Peter Handke, Versuch über die Jukebox, Frankfurt am Main 1990, 87-89
Das ist wirklich sehr schön. Im Web habe ich
noch eine Spätrezension entdeckt, in der dieselbe Stelle zitiert wird.
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