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Samstag, 10. März 2012

Rothenberge 2011: Verdammnis und Vergebung

Im wunderschönen Landhaus Rothenberge habe ich letztes Jahr unter anderem den Film Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte (2009) gesehen und den Roman Einsamkeit und Sex und Mitleid (2009) besprochen.


Der Zusammenhang zwischen diesem Film von Michael Haneke und dem Roman von Helmut Krausser ist zufällig: in Hanekes Film spielen eine Reihe mysteriöser und abstoßender Verbrechen in einem kleinen protestantisch-preußischen Dorf am Vorabend des Ersten Weltkriegs eine Rolle und im Roman von Krausser begegnen wir mehr und minder schweren Straftaten und allerlei sexuellen Ausschweifungen im Berlin von heute.

Haneke zeigt in beklemmender Intensität die Schwarze Pädagogik der christlichen Erziehung an den Kindern des Pfarrers und des Arztes. Die Verbrechen werden nicht aufgeklärt, aber es ist deutlich, dass sie ein Resultat der strafenden und erniedrigenden Erziehungsmethoden sind und von einem oder mehreren der Kinder begangen wurden. Beim Gottesdienst wurde das Vaterunser gesprochen; lange habe ich es nicht mehr gehört: das „und erlöse uns von dem Übel“. Indirekt legt Haneke auch nahe, dass es die Tätergeneration der beiden Weltkriege war, die durch diese Art der Erziehung geformt wurde und durch die das Übel über die Welt kam. Ein eindringlicher, großartiger Schwarz-Weiß-Film, der ein wenig zu schwarz-weißen Analysen neigt.

Krausser konfrontiert uns mit fast zwei Dutzend Hauptpersonen, die einander in Berlin-Kreuzberg zwischen Heiligabend und dem darauf folgenden Mai mehr oder weniger zufällig begegnen und in eine reigenartige Vernetzung miteinander geraten. Bis auf eine Kindesentführung ist jeweils von Anfang an klar, wer die Diebstähle, Gewalttaten und Erniedrigungen begeht. Die durchgehende Ironie und Komik der einzelnen Szenen lenkt von der beschriebenen gesellschaftlichen Negativität ab. Auch die Erlösung der zunächst negativ verbundenen Hauptfiguren ist voller Ironie und völlig unwahrscheinlich: nach den Sodom und Gomorra verfluchenden Strafpredigten eines sich für Jesaja haltenden Halbirren auf dem Kreuzberg vollzieht sich ein golgathahaftes Ostergeschehen, das alle Sünden tilgt und in einen Reigen von Vergebung und Liebe übergeht. Auch das entführte Kind kehrt unversehrt zu seinen Eltern zurück. Das klingt vielleicht blöde und kitschig, aber es ist immer wieder zum Schreien komisch und wahrhaftig. Die Erlösung ist gegenwärtig.


Der Film stand am Anfang unseres letztjährigen Treffens im Landhaus Rothenberge, der Roman am Ende. Wir haben viel gelacht, es war still und turbulent, und aus den Wiesen stieg der weiße Nebel wunderbar.

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