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Samstag, 28. September 2013

Hommage an Cecilie



Das ist Cecilie. Auf einem Foto aus den dreißiger Jahren. Sie war eine sehr schöne, kluge und lebenstüchtige Frau, politisch zurückhaltend und wohltätig! Niks mis mee, dus.

Cecilie hat mir gestern geholfen, eine Frage zu beantworten, der ich vor zehn Jahren vergebens nachgegangen bin, eine Frage, die mit einer Insel in Holland zusammenhängt.

Dafür bin ich ihr posthum dankbar. Cecilie zu Mecklenburg wurde 1905 durch Heirat mit dem deutschen Kronprinzen zur letzten deutschen Kronprinzessin. Wilhelm, ihr Mann, erscheint mir weniger begabt. Die Ereignisse 1918/19 verhinderten einen weiteren Aufstieg des Paares.

Das Schloss Cecilienhof, das ich bisher immer nur als Ort der Potsdamer Konferenz wahrgenommen habe, war ihre Wohnung. Gestern kam ich dort vorbei. Nie hatte ich mich gefragt, welcher Cecilie es seinen Namen verdankt. Mit deutscher Adelsgeschichte habe ich mich immer schwer getan, jedenfalls, was die Nebenfiguren betrifft. Jetzt habe ich Zeit dazu und habe mir eine kleine Broschüre über Cecilie gekauft.

Die Frage? Die Insel? Nun, Wilhelm musste hinaus ins feindliche Leben, und das wurde eine richtige Odyssee...

(Fortsetzung folgt)

Montag, 23. September 2013

Friedhof Columbiadamm in Berlin-Neukölln: der interessanteste Friedhof Deutschlands


Wir hatten keine Ahnung, welche Überraschung uns bevorstand, als wir auf der Suche nach der Moschee mit dem seit 1866 bestehenden alten türkischen Friedhof am Columbiadamm in Berlin-Neukölln einen weiteren, weitläufigen Friedhof entdeckten, der eine äußerst merkwürdige Mischung aus alten und neuen, deutschen und türkischen Gräbern und deutscher militärischer Erinnerungskultur aufweist.


Neben Soldaten- und Offiziersgräbern aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg stießen wir in dem parkartigen Gelände auf ein gutes Dutzend großer, figurativ ausgeschmückter Denkmäler, die an die Gefallenen jedes einzelnen Krieges erinnern, den Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert geführt hat. Außerdem gab es dort in immer neuen, versteckten, teils von Mauern abgetrennten Feldern eine Reihe kleinerer Denkmäler, die u. a. den Gefallenen bestimmter kaiserlicher Regimenter, den Toten der Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika und den Toten eines 1913 abgestürzten militärischen Luftschiffes gewidmet waren. Auch der Gegner wird gedacht: So steht neben einem Denkmal zum deutsch-französischen Krieg 1870/71 eines für die damals in Berliner Lazaretten gestorbenen französischen Soldaten und Offiziere.


Und in direkter Nachbarschaft zu solchen deutschnationalen Gebilden im Geschmack vergangener Zeiten lagen, schräg versetzt, Reihen bunter und grauer, reicher und schlichter türkischer Gräber aus den letzten Jahren, viele umringt von türkischen Familien, die an diesem Sonntag ihre Toten besuchten. Teils in abgegrenzten Feldern, teils bunt durcheinander mit Gräbern von Deutschberlinern, ein multikultureller Friedhof ganz eigener Art. Nicht jeder Türke wird das mögen. Von den Deutschen ganz zu schweigen. Aber es ist gut, dass es ihnen zugemutet wird.

Die Stadt- oder Kirchenpolitiker, die dieses Neben- und Beieinander ermöglicht haben, verdienen dafür einen Kulturpreis, den es vermutlich gar nicht gibt. Was hätte die Stadt mit diesem ursprünglich als „Neuer Garnisonfriedhof“ gegründeten militärischen Friedhof tun sollen? Die Gefahr, dass er zu einem Treffpunkt von Neonazis und Revanchisten werden würde, war immer anwesend. Es gab und gibt Demonstrationen und Gegendemonstrationen. Die langsam wachsende Durchmischung alter und neuer deutscher Erinnerungskultur sowie alter türkischer und neuer  deutschtürkischer Gräber ist eine geniale Lösung für dieses Gelände. Und dies alles ohne Verleugnung oder Entfernung der militärisch-deutschnationalen Elemente und Inschriften und mit nur minimalen volkspädagogischen Eingriffen (Hakenkreuze allerdings wird man hier natürlich nicht finden.)

Viele meiner niederländischen Freunde würden wohl ihre Mühe haben mit der symbolischen historischen Gewalt, die sich hier manifestiert, aber es ist deutsche Geschichte, die in einem Rahmen gegenwärtiger Trauer aufgehoben wird. Mich hat das sehr beeindruckt.

Hier gibt es eine ausführliche Fotodokumentation des militärischen Teils.

Sonntag, 22. September 2013

Seniorenfreizeitstätte


Jugendlich beschwingt liefen wir heute durch die Straßen Berlins, auf dem Weg zu unserem Wahllokal, wo wir, zum ersten Mal seit mehr als drei Jahrzehnten, unsere Stimme persönlich in die Urne werfen wollten.

Der Schwung erhielt einen Dämpfer, als wir sahen, welchen Ort das Schicksal uns für diesen Zweck zugedacht hatte: eine Seniorenfreizeitstätte (!). Derart auf die Realität zurückgestutzt, kreuzten wir ernüchtert Erst- und Zweitstimme an, um einer dynamischeren Politik den Weg zu bereiten und verließen fluchtartig die Stätte. 

Samstag, 21. September 2013

Mein Lieblingsgedicht von Gottfried August Bürger

Mein Lieblingsgedicht von Gottfried August Bürger ist ein ganz kleines, einfaches Liedchen, in dem sich viele Worte und Zeilen wiederholen. Er zeigt darin das Spannungsfeld zwischen der Schönheit des weiblichen Körpers, seiner Anziehungskraft für die Männer, dem weiblichen Bewusstsein dieser Qualitäten und der diesbezüglichen gesellschaftlichen (Doppel-)Moral.

In gewisser Weise ist dies ein frühes “Ding-Gedicht”, und das Ding, um das es hier geht, ist ein Schleier. (Das sollte man nicht oberflächlich nehmen: Sieben Jahre nach diesem Gedicht promovierte Bürger mit einer Arbeit “Über die Wirkung des Schleiers in der darstellenden Kunst” zum Magister.) Die Doppelfunktion des Ver- und Enthüllens jedenfalls ist hier mit einer gewissen Schamlosigkeit herausgearbeitet:

Spinnerlied

Hurre, hurre, hurre!
Schnurre, schnurre, schnurre!
Trille, Rädchen, lang und fein,
Trille fein das Fädelein
Mir zum Busenschleier.

Hurre, hurre, hurre!
Schnurre, schnurre, schnurre!
Weber, webe zart und fein,
Webe fein das Schleierlein
Mir zur Kirmesfeier.

Hurre, hurre, hurre!
Schnurre, schnurre, schnurre!
In und außen blank und rein
Muß des Mädchens Busen sein,
Wohl deckt ihn der Schleier.

Hurre, hurre, hurre!
Schnurre, schnurre, schnurre!
In und außen blank und rein
Fleißig, fromm und sittsam sein,
Locket wackre Freier.

(1776)

Donnerstag, 19. September 2013

Sex-Camouflage in den Gedichten von Gottfried August Bürger (3)

Im folgenden Gedichtfragment geht es, anders als bei der Müllerstochter und Europa, nicht um eine fiktive Frau, sondern um Bürgers Schwägerin Auguste. Bürgers Ehe war unglücklich. Eigentlich war er in die blutjunge, schöne und intelligente Auguste verliebt gewesen, aber ihr Vater hatte ihm die zwei Jahre ältere Dorette zugeschoben. Nach der Heirat wurde jedoch das Verhältnis zu Auguste stets inniger. Sie ist die “Molly” aus den vielen Gedichten. Viel Dramatik ist im Spiel, auch Molly war mit den Zuständen unglücklich und erwog, ihn zu verlassen.


In solch einer Situation hat Bürger eine Elegie aus 35 achtzeiligen Strophen geschrieben, in der er endlos seine Liebe und Verzweiflung besingt. Die erotischen Teile dieser Elegie spitzen sich gegen Ende zu. Um sie darstellen zu können, bedient sich Bürger metaphorischer Mittel und ergeht sich in Schiffs-, Strom- und Blümchenmetaphern:

Elegie

Als Molly sich losreißen wollte

[… 30 Strophen gehen voran!]

Freier Strom sei meine Liebe,
Wo ich freier Schiffer bin!
Harmlos wallen seine Triebe
Wog’ an Woge dann dahin.
Lass in seiner Kraft ihn brausen!
Wenn kein Damm ihn unterbricht,
Müsse dir davor nicht grausen!
Denn verheeren wird er nicht.

Auf des Stromes Höhe pranget
Eine Insel, anmutsvoll,
Wo der Schiffer hin verlanget,
Aber ach! nicht landen soll.
Auf der schönen Insel thronet
Seines Herzens Königin.
Bei der süßen Holdin wohnet
Dennoch immerdar sein Sinn.

Hänget gleich sein Schiff an Banden
Strenger Pflichten, die er ehrt;
Wird ihm gleich dort anzulanden,
Molly, selbst von dir verwehrt:
O so laß ihn nur umfahren
Seines Paradieses Rand,
Und es seine Obhut wahren
Gegen fremde Räuberhand.

Selbst, o Holdin, - kannst es glauben,
Was dir Mund und Herz verspricht! –
Selbst das Paradies berauben
Und verheeren wird er nicht.
Keine Beere will er pflücken,
Wie so lockend sie auch glüht,
Nicht ein Blümchen nur zerknicken,
Das in diesem Eden blüht.

Hinschaun soll ihn nur ergötzen,
Wann sein Schiff herum sich dreht,
Nur der süße Duft ihn letzen,
Den der West vom Ufer weht.
Aber ganz von hinnen scheiden,
Fern von deinem Angesicht
Und der Heimat seiner Freuden,
Heiß’, o Königin, ihn nicht.

Bürgers sämmtliche Schriften, 1. Band, Leipzig 1911, 61-68

Die Entschlüsselung der Metaphern fällt nicht immer leicht. Am Ende wird einem ein wenig schwindlig, das Schiff scheint in einen Strudel zu geraten. Der Schiffer schwört, sich aufs “Schauen” zu beschränken, sieht sich aber dem “süßen” Duft ausgesetzt. Das veraltete Verb “letzen” bedeutet “erquicken”. Wie lange soll das gutgehen? Lassen wir’s dabei. Natürlich ist's passiert.

Bürger hat ein unglückliches und tragisches Schicksal gehabt, auch wenn es anders klingt, wenn man sagt: Er hat mehrere Jahre mit Dorette und Auguste in einer Ehe zu dritt gelebt.

Beide Frauen sind ihm im Kindbett dahingestorben und die Kinder noch dazu. Seine dritte Ehe verlief im Fiasko, die Frau wurde schuldig geschieden.

Montag, 16. September 2013

Sex-Camouflage in den Gedichten von Gottfried August Bürger (2)

Ein anderes Beispiel liefert Bürgers neunseitige ironisch-verspielte Ballade über die Verführung der Jungfrau Europa durch Zeus. Hier benutzt er eine andere Methode der Camouflierung des Sex-Geschehens. Zunächst hält er uns hin: Erst nach acht – durchaus vergnüglichen - Seiten ist es soweit, aber dann blendet er das eigentliche Geschehen aus und zeigt uns nur die Reaktionen von heimlichen Beobachtern, den Meeresnixen und dem Götterkollegen Neptun.

Nun gut, wir kennen die Geschichte: Zeus nähert sich Europa in Gestalt eines Stieres. Er scheint ganz nett und harmlos zu sein. Die Jungfrau spricht:
"Hi! Hi! Ich will's doch wagen,
Ob mich das Tier will tragen?

Der Stier rennt mit ihr ins Meer. Nachdem er sie an einem Inselgestade abgesetzt hat, nähert er sich ihr als junger Kavalier in Menschengestalt. Er spricht sie an:


“Hier pflegen Sie der Ruh’,
Und trocknen sich, mein Schneckchen,
Ihr Hemde, samt dem Röckchen,
Die Strümpfchen und die Schuh’.
Ich, mit Permiß, will Ihnen
Statt Kammermädchen dienen.”-

Sie sträubte jüngferlich
Sich anfangs zwar ein wenig:
Doch er bat untertänig,
Und da ergab sie sich
Nun, hochgeehrte Gäste,
Merkt auf! Nun kömmt das Beste.

[Ja, aber nun kommen erst mal vier retardierende Strophen, die die Geschichte nicht voranbringen. Danach folgt der Schluss der Ballade:]

Nun schwammen mit Geschrei
In langen grünen Haaren
Der Wassernixen Scharen
Hart an den Strand herbei:
Zu sehen das Spektakel
In diesem Tabernakel.

Manch Nixchen wurde rot;
Manch Nixchen wurde lüstern;
Jen’s neigte sich zum Flüstern;
Dies lachte sich halb tot;
Neptun, gelehnt ans Ruder,
Rief: Prosit, lieber Bruder!

Nun dank, o frommer Christ,
Im Namen aller Weiber,
Daß dieser Heid’ und Räuber
Bereits gestorben ist.
Zwar – fehlt’s auch zum Verführen
Nicht an getauften Stieren.

Sex-Camouflage in den Gedichten von Gottfried August Bürger (1)

Die Bibliothek der Philosphischen Fakultät in Groningen wird diesen Herbst in die zentrale Universitätsbibliothek eingegliedert. Weder die Mitarbeiter noch die Nutzer sind glücklich hierüber.

Schon seit Wochen werden Dubletten billig abgestoßen, 6 Bücher für 5 Euro. Ich habe einige gekauft, aber es fühlt sich an wie Leichenfledderei. Andererseits begegne ich manchem Autoren, den ich immer links habe liegen lassen, zum Beispiel Gottfried August Bürger (1747-1794).

Ich kannte von Bürger nur seinen Münchhausenroman. Jetzt habe ich eine schöne Ausgabe seiner sämtlichen Werke erstanden, einbändig mit einem Jugendstileinband, 1911 erschienen.

Beim Blättern und Hineinlesen fielen mir die vielen Liebesgedichte auf, die zur großen Popularität Bürgers bis weit ins 19. Jahrhundert hinein beigetragen haben. Das liegt auch an der erotischen Offenheit einiger Gedichte, in denen dennoch das Sexuelle geschickt verborgen wird.
Hier ist ein Beispiel, bei dem der Gedankenstrich Verwendung findet. Dem Leser wird selbst überlassen, sich auszumalen, was zwischen Lieschen und dem Knappen geschah. Keine ungewöhnliche Methode, aber doch: Eine halbe Strophe, vier Zeilen lang, besteht aus Gedankenstrichen. Das ist doch ziemlich viel, und des Lesers Phantasie kann sich lang und breit und lüstern oder lieblich entfalten:

Schön, wie der Apfelbaum im Mai

   Schön, wie der Apfelbaum im Mai,
Schön blühte Müllers Liese.
Sie harkte, wandt’ und häuft’ ihr Heu
Auf rundumbuschter Wiese.
Und als das Heu gehäufelt war,
Da sank sie, sicher vor Gefahr,
Zum Labsal matter Glieder
Aufs letzte Häuflein nieder.
 
   Da kam des Müllers junger Knapp’,
Er kam mit leisen Tritten
Das stille Wiesental herab
Zur Schläferin geschritten.
Er warf ihr Blumen ins Gesicht,
Die Schläferin erwachte nicht.
Es half kein Händeklappen,
Kein Tippen und kein Tappen. 

    Der rege Fleiß in schwüler Luft,
Ein Mosttrank auf die Schwüle,
Der Wiesenkräuter Würzeduft,
Des Pappelschattens Kühle
Berauschten Lieschen. Sie entschlief;
Sie schlief so süß, sie schlief so tief,
Kein Necken und kein Schrecken
Vermochten sie zu wecken. 

   _   _   _   _   _   _   _   _
_   _   _   _   _   _   _
_   _   _   _   _   _   _   _
_   _   _   _   _   _   _
 
Zu sagen, was der Jäger tat,
Wär’ itzt ein alberner Verrat.
Doch sollt’ er nach zwei Jahren
Samt Lieschen es erfahren.

Das einzige, was mich irritiert, ist die Zeitspanne von “zwei Jahren”. Es geht doch nicht um ein Elefantenbaby, oder?

Samstag, 14. September 2013

Mittwoch, 11. September 2013

Monika Zeiner

Die offizielle Shortlist für den Deutschen Buchpreis


Die echte Shortlist für den Deutschen Buchpreis ist da. Zwei Titel, auf die ich getippt hatte, stehen drauf: die von Jirgl und Meyer. Außerdem der Roman, den ich als sympathischsten Roman der Saison gewählt hatte: Monika Zeiners „Die Ordnung der Sterne über Como“. Das freut mich.

Jirgls „Nichts von euch auf Erden“ war und ist mein persönlicher Favorit.

Die sechs Titel der Shortlist:

Mirko Bonné: Nie mehr Nacht (Schöffling & Co., August 2013)

Reinhard Jirgl: Nichts von euch auf Erden (Hanser, Februar 2013)

Clemens Meyer: Im Stein (S. Fischer, August 2013)

Terézia Mora: Das Ungeheuer (Luchterhand, September 2013)

Marion Poschmann: Die Sonnenposition (Suhrkamp, August 2013)

Monika Zeiner: Die Ordnung der Sterne über Como (Blumenbar, März 2013)


Reaktionen aus der Presse