Cookie

Freitag, 9. März 2012

Rothenberge 2010: Stille und Gewalt


Das Landhaus Rothenberge liegt auf einem Hügel bei Wettringen im Münsterland, absolut ruhig und idyllisch, ein Kilometer im Umkreis nur ein paar Bauernhöfe. Es wurde in den 1920er Jahren von einem niederländischen Textilfabrikanten als Sommersitz im Rokokostil erbaut und hieß nach ihm ursprünglich „Villa Jordaan“. Auch die Inneneinrichtung der Herrschaftsräume unten ist mit einem Mix von nachempfundenem Rokokomobiliar eingerichtet.


Heute dient es als Tagungshaus der Universität Münster. Seit mehr als zwanzig Jahren findet dort im März eine Lehrernachschulung für niederländische Deutschlehrer statt. Bei der Ankunft wird man mit Kaffee und Kuchen empfangen, der von freundlichen Damen in langen weißen Schürzen gereicht wird. Man fühlt sich im gehobenen Stil gut aufgehoben.

Wer zum ersten Mal da ist, kommt aus dem Staunen nicht heraus, da dies nicht die normale Entourage für Lehrerveranstaltungen ist. Diejenigen, die im zweiten Stock unterm Dach zu fünft in einem Zimmer schlafen müssen, sind dann allerdings etwas ernüchtert.

Wir besprechen dort Neuerscheinungen der deutschen Literatur, neuerdings auch jeweils einen Film. Mein Thema war diesmal Walter Kappachers Roman Selina oder Das andere Leben, ein Buch der Verlangsamung und der Stille. Der Film stand dazu in scharfem Kontrast: Der Baader-Meinhof-Komplex.

Ich habe den Film dort zum dritten Mal gesehen und die Komprimierung von zehn Jahren terroristischer und polizeilicher Gewalt in zweieinhalb Stunden als hart und nervenaufreibend empfunden. Beim ersten Mal war ich vor allem fasziniert darüber, wie unglaublich detailgetreu dieser Film gemacht ist: alles stimmt. Am Anfang wird der Vietnamkongress in der Berliner TU 1968 gezeigt, bei dem ich selbst dabei gewesen bin. Es war alles authentisch nachgestellt, fast erwartete ich, mich selbst im Publikum sehen zu müssen.

Es bleibt ein guter Film und doch gibt die Komprimierung ein falsches Bild. Zum Beispiel geht das Anarchistisch-Fröhliche zumindest der ersten Jahre zwischen 1967 und 1970 verloren und es scheint als ob wir sozusagen alle auf dem Weg in den Terror waren, während es doch nur eine sehr kleine Gruppe war.


Die Ambivalenz zwischen Stille und Gewalt gehört zur Botschaft des Romans von Kappacher. Er schildert nachdrücklich die Bedrohung und den Lärm durch Industrie und Verkehr, die aber gleichzeitig die Bedingung für den Rückzug eines Lehrers in die toskanische Schönheit und Stille sind.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen