Früher, das heißt vor der vollmobilen Web-Zeit, hätte ich vielleicht ein sentimental-kitschiges Lied wie Evelyn Künnekes Sing Nachtigall sing in nostalgischer Unbekümmertheit präsentiert: zur Abwechslung von abstrakteren Themen oder zur Demonstration der Unterhaltungskultur der vierziger Jahre oder einfach so, weil mir danach ist.
Aber heute, wo ich zu jedem Kulturprodukt den Sofort-Check auf dem Web machen kann, um herauszubekommen, wann, wo, wie, warum, von wem und in welchem Zusammenhang das Lied, der Text, das Bild produziert worden ist, wird es mir leichter gemacht, die Dinge im Kontext zu sehen und dadurch allerdings manchmal schwerer gemacht, sie zu präsentieren.
So wurde mir in diesem Fall sehr schnell klar, dass Künnekes Lied zu dem Film Auf Wiedersehn, Franziska (1941) von Helmut Käutner gehört, der als Teil der Nazi-Propaganda zu sehen ist. Auch wenn das Lied selber nichts Nazistisches an sich hat, bleibt dieser Kontext daran hängen, und ich hätte es dann auch nicht einfach in dieses Blog einbringen wollen. Und wenn man dann liest, dass die Künneke sich jahrelang zur unterhaltsamen Truppenbetreuung an der Ostfront hat einsetzen lassen, hat man auch schnell genug davon.
Dass ich das nun doch tue, hängt mit einem weiteren Fund aus dem Web zusammen: Ein kreativer YouTube-Teilnehmer hat dieses Lied – ganz offenbar aus ganz ähnlichen Erwägungen wie den meinen – an Aufnahmen aus dem zerbombten Berlin von 1945 gekoppelt und ihm damit eine neue polemisch-zynische Konnotation verschafft. Das hat mir sehr gefallen:
Sing, Nachtigall, sing, ein Lied aus alten Zeiten;
Sing Nachtigall sing, rühr mein müdes Herz.
Sing Nachtigall, sing von tausend Seligkeiten:
Sing, Nachtigall, sing, sing vom Liebesschmerz.
Als den Liebsten ich besessen, sangst du süß und bang;
Seit der Liebste mich vergessen, schwiegst du so lang ----
Ach, sing, Nachtigall, sing ein Lied aus alten Zeiten;
Bring, Nachtigall, bring mir mein Glück zurück, mir mein Glück zurück.
Das ist eine interessantes und kreatives Beispiel dafür, was auf YouTube und in den Blogs möglich ist und was Papiertexte so eindrucksvoll nicht können: durch reines Aneinanderkoppeln zweier verschiedener, ja widersprüchlicher Medienfragmente wird die Aussage dem puren Kontrast überlassen, der über Ohren und Augen in uns eindringt.
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