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Mittwoch, 21. März 2012

Die Zauberflöte (6): Der missverstandene Sarastro

Ich bin gespannt, welches Bild von Sarastro uns die aktuelle niederländische Inszenierung bringt. (Für die Groninger Aufführung am Dienstag, dem 27. März, gibt es noch Karten im 3. und 4. Rang.)

Sarastro ist von Interpreten der 70er Jahre gerne als rassistischer Sklavenhalter und emanzipationsfeindlicher Frauenverächter dargestellt worden. Bei den ach so kritischen Achtundsechzigern überlagerten simple Hollywood-Bildwelten in anachronistischer Verblendung die durchdachten und bedeutungsvollen Allegorien des 18. Jahrhunderts: So wird der von Löwen gezogene Triumphwagen des Sonnenherrschers Sarastro etwa im Sinne des Triumphzuges des römischen Feldherrn im Film Ben Hur interpretiert; die komplexe und auf etwas völlig anderes hindeutende Bildlichkeit wird nicht wahrgenommen.

De facto verkörpert Sarastro im allegorischen Denken der beiden Freimaurer Mozart und Schikaneder die europäische Aufklärung seiner Zeit: die Herrschaft des Lichts gegenüber den Mächten der Finsternis, die Herrschaft des Verstandes gegenüber den Kräften des Irrationalen, des Aberglaubens, der Religionen. Letztere sind in der Gestalt der Königin der Nacht verkörpert.

Aufklärung ist ein Prozess, dem sich sowohl der Prinz Tamino als auch die Tochter der Königin der Nacht Pamina als Mensch und nicht als Angehörige des Adels zu stellen haben. Die Qualität „Mensch“ ist eine andere und höhere als die Qualität Adel; sie muss erworben werden und bleibt eine ständige Herausforderung. „Wen solche Lehren nicht erfreun, verdienet nicht ein Mensch zu sein“: Auch an diesem Spruch haben sich die Achtundsechziger verhakt und verguckt und ihn falsch interpretiert. Simplere Geister wie Papageno bleiben im naturhaften Genuss stecken und erfahren nicht die höheren Weihen des aufgeklärten selbständigen Verstandes. In dem Sinne erwerben sie nicht den geistigen Adelstitel "Mensch" des Zeitalters der Vernunft.
Auch Opern, auch die Zauberflöte, sind übrigens Melodramen, und viele Inszenierungen sind nicht frei von dem, was wir "Kitsch" nennen würden. Kein Wunder, dass ich sie so mag, aber auch da gibt es Grenzen: Man schaue sich an, wie im folgenden Ausschnitt Sarastros "Vernunft" bildlich in einem schrecklich anzusehenden überhöhten Schädel dargestellt wird, wie er von "oben" heruntergelassen wird und dazu die blödsinnigen Löwen, die völlig unmotiviert wirken und dumm in der Gegend herumstehen:


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