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Dienstag, 24. Juni 2025

Scheveningen Johan de Wittlaan

Scheveningen, Johan de Wittlaan

 Genau da, wo heute und morgen in Scheveningen all die NATO-Menschen hin- und herlaufen und über die Zukunft ihrer Welt palavern, machte vor hundert Jahren der Groninger Bildhauer Fré Jeltsema seinen täglichen Spaziergang durch die Scheveningse Bosjes und dachte über die Zukunft seiner (Bildhau)Welt nach.

Er hat dann weitgehend auf eine eigene Produktivität verzichtet und konnte damit ganz gut leben. Ein paar Jahre zuvor hatte er noch sein größtes Standbild geliefert: Johan de Witt !

Mittwoch, 11. Juni 2025

Die Akte Jeltsema im Noord-Hollands Archief

Schon wieder ist ein Monat vergangen ohne einen neuen Blog-Post. Es geht mir aber gut, und ich bin aktiv. Ich war zum Beispiel ein paar Tage in Haarlem, um im Noord-Hollands Archief die Jeltsema-Akte durchzuarbeiten.


Das Archiv befindet sich in der 700-jährigen Janskerk. Welch ein schöner Ort zum Arbeiten! Unkomplizierter und schneller Zugang zu den Akten. Freundliche Beratung. Angenehmes kleines Café für die Pausen.

Die Akte Frederik Jeltsema. Fertig! Und was nun?

Eine überschaubare Akte: die Korrespondenz Jeltsemas mit der Akademie und dem Ministerium während der vier Stipendienjahre nach dem Prix de Rome 1902. Mehr gibt es ja leider nicht.

Aber zum ersten Mal hatte ich durch das Lesen der handschriftlichen Briefe einen persönlichen Kontakt mit Fré Jeltsema in der intensivsten Phase ihres/seines Lebens. Das war sehr berührend.


Fré Jeltsema war auch mal kurz in München!

In den nächsten Monaten mache ich was daraus. Wollen mal sehen, was. Aber hier im Blog gibt‘s erst mal nichts mehr dazu.


Mittwoch, 14. Mai 2025

Het Emmaplein: Der neue Hauptbahnhof von Groningen

 Ich habe schon seit ein paar Wochen keine neuen Beiträge mehr über Frederik Jeltsema und seinen „Zittende Jongeling“ auf dem Emmaplein geschrieben. Das liegt an einem neuen Blick, den ich auf das Thema geworfen habe und der etwas Zeit braucht. Dazu also später mehr.

Das hat aber nichts mit dem neuen Blick zu tun, den ganz Groningen seit dem letzten Sonntag auf den Emmaplein wirft: der Platz ist sozusagen der neue Hauptbahnhof der Stadt geworden. Zwei Monate lang fahren bequeme Reisebusse alle Reisenden, die Richtung Süden oder Westen wollen, vom Emmaplein zum Vorstadtbahnhof Europapark, wo es dann per Zug weitergeht. Oder andersherum: zum Emmaplein. „Bahnhof Groningen!“ rief der Chauffeur bei meiner Probefahrt.

Bahnhof Emmaplein

Grund dafür ist der große Bahnhofsumbau, bei dem das schöne alte Gebäude aus dem Jahr 1896 vollständig erhalten bleibt. (Frederika Jeltsema gehörte damals zu den ersten Reisenden, die davon Gebrauch machten!)



Auf dem Emmaplein ist es unruhig geworden. Alle paar Minuten fährt ein Bus ab/kommt ein Bus an. Zig Leute mit Koffern und viele Schüler und Studenten steigen ein und aus und blicken sich verwundert um: Das soll der Bahnhof von Groningen sein? Man hat ein Wartezelt und Toiletten eingerichtet und den Platz um den „Sitzenden Jüngling“ herum gemäht. Ob er jetzt wohl mehr wahrgenommen wird als bisher?

Ich hatte heute bei meinem Testaufenthalt nicht den Eindruck.

Dienstag, 15. April 2025

Der „Sitzende Jüngling“ von Jeltsema (11): Korrekturen

Im Laufe meiner Reihe von Blogposts, die am 3. März begonnen hat, habe ich weiterhin versucht, über einzelne Aspekte mehr Aufschluss zu bekommen. Dabei sind ein paar Korrekturen notwendig geworden:

-       Das befreundete Ehepaar Jo und Frits Schreve-Ijzerman hat eine größere Rolle bei der Planung des offiziellen Geschlechtswechsel von Frederika zu Frederik gespielt, als ich in den ersten Beiträgen geschrieben habe. Sie haben für Fré die gesamte Planung vom juristischen Schritt über die praktischen Dinge bis zur Information des Bekanntenkreises übernommen, während er diese Phase großenteils in Italien abwartete. Frits war Arzt und hat Fré die Versicherung gegeben, dass er körperlich ein Mann sei und „ganz gewiss kein Hermaphrodit“. Das wurde in Groningen dann noch von zwei Ärzten offiziell bestätigt. Er war also auch nicht ein Fall, bei dem erst durch eine Operation das eine oder das andere Geschlecht hergestellt wird. Wohl hatte er feminine Merkmale: keinen Bartwuchs, eine hohe Stimme, und er war nicht zeugungsfähig. Es war Jo Schreve-Ijzerman, die für ihn in Amsterdam bei Meyer am Koningsplein die Männergarderobe besorgte: einen Anzug, Hüte, Handschuhe, Regenmantel, Oberhemden, Nachthemden, Jäger-Hosen, Manschetten, 12 Paar Socken und 24 Taschentücher, weiter eine Taschenuhr mit Kette, zwei Paar Herrenschuhe, ein Portemonnaie und andere Kleinigkeiten. Seine Mäzenin Geesje wird wohl alles bezahlt haben. Diese Informationen habe ich aus dem Artikel „Van vrouw naar man. Kunstenares Free Jeltsema wordt in 1906 kunstenaar“ von Frouke Schrijver (Ons Amsterdam gebouwd op verhalen, 1. Juli 2020).

 

-       Dort findet sich auch die Mitteilung, dass Frederika Jeltsema schon 1901, während ihres letzten Studienjahres, zusammen mit dem Bildhauer Pier Pander nach Rom gereist ist und bei ihm ihre Ausbildung fortgesetzt hat. Sie wohnte in der Zeit bei der Familie des italienisch-niederländischen Malers Romolo Koelman. Sie war also schon früher und länger in Rom, als ich bisher gedacht hatte. In der Biographie auf der Website www.mesdagvancalcar.nl wird dieser Mitteilung kein Glauben geschenkt, weil sie ja noch in Amsterdam ihr Studium habe vollenden müssen. Das ist sehr formalistisch gesehen und verkennt die liberalen Möglichkeiten eines Kunststudiums in den damaligen Niederlanden. Die zeigen sich auch in den vier Auslandsjahren nach der Zuerkennung des „Prix de Rome“ (1902)


-       Meine dritte Korrektur betrifft die Marmorskulptur einer Bacchantin (1910), die 1960 der Gemeinde Groningen geschenkt wurde. Ich habe in meinem vierten Beitrag vom 8. März ein Foto davon veröffentlich, das aus dem „Jeltsemasaal“ des gerade genannten Webmuseums stammt und wo als Standort das Groninger Rathaus genannt wird. Ich war nun gestern zum ersten Mal da und habe einige Fotos machen können. Die dort stehende Statue ist jedoch nicht identisch mit der aus dem Webmuseum, bei der unter anderem die Statuenstütze an den Beinen in Form eines mit Blättern und Trauben verzierten Baumstrunks fehlt. Dazu mehr in meinem nächsten Beitrag.

P.S.: Inzwischen habe ich aus Marcel Broersma’s Biographie von Pier Pander die Bestätigung, dass Frederika 1901 ihre Ausbildung bei Pander in Rom fortgesetzt hat (Marcel Broersma, Pier Pander (1864-1919). Zoektocht naar zuiverheid, Leeuwarden 2007, S. 133).



Sonntag, 13. April 2025

Der „Sitzende Jüngling“ von Jeltsema (10): 1940-45, zwei Kunstwerke unter deutscher Besetzung

1940 wurden die Niederlande von deutschen Truppen besetzt. Jeltsemas große Villa in Scheveningen, die er 1936 von seiner Mäzenin Geesje Mesdag-van Kalkar geerbt hatte, wurde von den Deutschen requiriert. Offenbar hatte er vorher noch Zeit, seine Skulpturen in einem Schuppen bei seiner Schwester unterzubringen. Der Jüngling ist jedenfalls nicht in deutsche Hände gefallen.

Jeltsema ging in den Besatzungsjahren nach Haren, einem reichen Vorort von Groningen. Nach Kriegsende kehrte er zurück nach Scheveningen und bewohnte bis zu seinem Tode 1971 sein prachtvolles Haus.

Dem „Sitzenden Merkur“ ist es nicht so gut ergangen. Nachdem Italien 1943 vom Verbündeten zum Feind Deutschlands wurde, begannen die Deutschen ein grauenvolles Besatzungsregime und ermordeten Tausende von Italienern. Außerdem beuteten sie das Land aus und stahlen viele Kunstschätze, darunter auch den Merkur aus Neapel. So weit ich weiß, wurde er nach Berlin gebracht. Wo er dort hinkam, ist mir nicht bekannt.

Nach Kriegsende brachten ihn die Amerikaner noch 1945 nach Neapel zurück. Aber irgendwo zwischen Berlin und München geschah ein Unglück mit der Skulptur: der Kopf brach ab und zersplitterte in viele Scherben. Das klingt sehr schockierend, doch wir wissen von der jahrhundertealten Kunstfertigkeit der Neapolitaner Bronzegießereien, die auch in diesem Fall den Kopf so restaurieren konnten, daß nur einem sehr sachkundigen Betrachter etwas auffällt:


Restauriertes Gesicht mit schwach erkennbaren Bruchlinien
und ergänzter Rotfärbung (Foto: Henry Lie)



Der „Sitzende Jüngling“ von Jeltsema (9): Das Ensemble auf dem Emmaplein

Außer dem „Sitzenden Jüngling“ auf der östlichen Seite des Emmapleins befinden sich noch zwei moderne Kunstwerke auf dem westlichen Halbkreis: der Video Busstop (2008) von Rem Koolhaas und das Anti-Kernwaffen-Denkmal (1985) von Hugo Hol.

Hugo Hol, Anti-Kernwaffen-Monument 1985)


Zum Busstop von Rem Koolhaas gibt es ein Video, das im Kreis um die Busstation herumfährt und dabei einen guten Gesamteindruck vom Platz und der ihn umgebenden Bebauung vermittelt. Auch unser Jüngling ist ganz kurz zu sehen:




Samstag, 12. April 2025

Der „Sitzende Jüngling“ von Jeltsema (8): Der Jüngling in seiner Umgebung

Was die Platzierung der Statue betrifft, hat die Gemeinde Groningen 1960 eine glückliche Hand gehabt. Mir ist nicht bekannt, ob hierbei auch ein Wunsch von Fré Jeltsema eine Rolle gespielt hat. Der lebensgroße sitzende Bronzejüngling passt in Gestaltung und Haltung perfekt auf den ihn umgebenden Emmaplein.

Der Emmaplein befindet sich im schönsten Bereich der Innenstadt zwischen zwei breiten Alleen mit Grünstreifen und alten ehrwürdigen Bürgerhäusern und Villen. Der Platz ist kreisrund und mit Ausnahme der schmalen Querwege vollständig mit alten Bäumen, Gras und Blumen bepflanzt. Eine Busspur führt mitten durch den Platz, der restliche Verkehr fährt im Kreis drumherum. Das war übrigens schon in Jeltsemas Jugend so, nur fuhr hier damals die Tram, die den Großen Markt mit dem Bahnhof verband.

Die Haltestelle mit Wartebänken sorgt für ein (nicht sehr betriebiges) Ein- und Aussteigen von Fahrgästen. Der Jüngling sitzt in zehn Metern Entfernung und scheint sich die Vorübergehenden anzuschauen. Außer seiner Nacktheit ist an ihm nichts Auffälliges. Er ist von allen Seiten gleichwertig zu betrachten und fügt sich natürlich auf dem Platz ein. In Frontansicht schaut er dem Betrachter gerade in die Augen. Er hat etwas völlig Selbstverständliches. Vielleicht fällt er deshalb kaum jemandem wirklich auf. Viele meiner Groninger Bekannten erinnern sich nicht an ihn, wenn ich sie nach dem Emmaplein frage.

Foto: PG

Der Jüngling sitzt auf einem Felsblock, das rechte Bein angezogen, die große rechte Hand ruht auf dem Knie. Das linke Bein ist etwas ausgestellt, der linke Ellenbogen liegt lässig auf dem Oberschenkel. Er hat einen wachen Blick. Die Beinhaltung ist anders als beim antiken Merkur, und auch der gerade Blick findet sich dort nicht. Die Frisur ist ein lockerer Haarschopf, zeitloses 20. Jahrhundert. Stehend wäre er etwa 180cm groß. Für seinen schlanken Körperbau hat er ziemlich breite Hände und Füße. Die Rückenansicht ähnelt sehr dem römischen Merkur. Das Rückgrat ist mehr akzentuiert. Der Jüngling ist schlanker und größer als das antike Vorbild. Er ähnelt auch heute noch einem richtigen Groninger Jungen von ca. 16 Jahren.

„Zittende jongeling“, Rückansicht (Foto: PG)


Jeltsema hat hier in Anlehnung an den antiken Merkur ein eigenes Kunstwerk geschaffen und zwar in dem Stil und in der Wirkungsart vom Höhepunkt der griechischen Skulptur, die er als unüberholbaren Höhepunkt der Kunst an sich empfand. Modernistische Tendenzen, die in seiner Jugend aufkamen, hat er ignoriert, und er hat darunter gelitten, daß die Welt sich in seinen besten Jahren einer völlig anderen Art von Kunst zuwandte. Als er nicht mehr „in“ war, zog er sich zurück. Er konnte es sich leisten.

Wohl war es ihm im Alter (1960 war er 81 und krank) ein Bedürfnis, zwei seiner schönsten Werke der Stadt Groningen zu schenken, dem Ort, an dem seine Laufbahn als Künstler, (bis 1906 offiziell noch als Künstlerin aber körperlich doch ein Mann), begonnen hatte. Da liegt die Vermutung nahe, dass er diese Skulpturen sowohl als ästhetische als auch als identitätsausstrahlende Botschaft und als Vermächtnis an die Stadt seiner Jugend verstanden hat. Der Jüngling wäre also ein Selbstbildnis im idealen und offensiven Sinn.

Und er schenkte sich als Mann und Frau: bei der anderen Skulptur handelt es sich ja um eine nackte Bacchantin in Marmor. Auf sie komme ich noch zurück.