Ich will auch
einen Bambi!
Ich habe mir die
gestrige Bambi-Verleihung im Fernsehen von Anfang bis Ende angesehen.
Angesichts der hoch verdichteten emotionalen Verkitschung, falschen
Rührseligkeit und zur Schau gestellten Scheinmitmenschlickeit dieser Sendung
gehe ich davon aus, dass ich der einzige Zuschauer bin, der sich dieser Tortur
freiwillig unterzogen hat und fordere deshalb für mich den „Bambi für den
interessierten Zuschauer der Bambiverleihung“.
Warum tue ich mir
das an? In Sendungen dieser Art glaube ich einiges über den inneren Zustand der
deutschen Nation erfahren zu können. Gerade hinter der Maskerade des zur Schau
gestellten Gutmenschentums zahlreicher höchst unterschiedlicher und
unterschiedlich begabter Künstler und Aktivisten lassen sich die
interessantesten Beobachtungen machen. Der Bambi wird ja nicht für eine
besondere künstlerische Begabung oder Leistung verliehen, sondern für die Art,
wie der oder die Gekürte damit in der Öffentlichkeit unter irgendwelchen
medialen Mäntelchen zu punkten weiß.
Das gilt auch für
Bushido: Er bekommt den Integrations- Bambi leider nicht für seinen genialen
Rap, sondern für seine vielfachen hochbegabten und wohlberedten Auftritte in
Talkshows und anderen öffentlichen Veranstaltungen als der „bekehrte” Sex- und
Gewaltgangsta, der seine schlechte Vergangenheit eingesehen und sich zum „guten
Jungen“, ja zum Integrationswunderkind gemausert hat. Das ist in der Tat
ziemlich unerträglich, egal ob er’s so meint oder nur so tut. Auf jeden Fall
hat er verstanden, worauf es ankommt und weiß die Werte und Normen, auf deren
Wogen er sich in diese Preisverleihung tragen ließ, perfekt zu bespielen.Die Teilnehmer dieser Veranstaltung auf der Bühne und im Saal haben diese Werte und Normen so internalisiert, dass viele von ihnen möglicherweise denken, an einer ehrlichen und menschlichen Show teilzunehmen. Jedenfalls können sie so gucken, wenn die Kamera auf sie gerichtet wird. Es ist dann auch eher Beschränktheit oder ein großes Missverständnis und ein Bruch der eigentlichen Werte und Normen des Abends, wenn der männliche Teil von Rosenstolz auf der Bühne einen empörten und moralistischen Protest gegen die Preisverleihung an Bushido äußern zu müssen glaubte. Das hätte er besser sein lassen können, um so mehr, wenn man den kläglichen Gesang des weiblichen Teils von Rosenstolz mit dem fantastischen Rap von Bushido vergleicht, der aber an diesem Abend natürlich nicht aufgeführt werden durfte.
Rap liegt mir
eigentlich überhaupt nicht und amerikanischen Rap habe ich mir nie anhören können.
Die Musik von Bushido habe ich vor fünf Jahren kennengelernt, als ich neue
Textarten für ein Schulbuch suchte und dabei auf Slam Poetry und unter anderem
auf das überragende „Wazlav, der Hamster“ von Gabriel Vetter gestoßen bin. In
den Poetry Slams tummelte sich auch die begabte deutsche Rapperin Fiva und
irgendwann kam mir dann Bushido vor die Ohren. Da bin ich richtig aufgewacht: das
schien mir ein authentisch aggressiver Sound von der Straße zu sein, der
natürlich von allerlei sexistischen und politisch unkorrekten Formulierungen
durchsetzt ist, aber mein Gott, das muss unsere Gesellschaft ja wohl aushalten
können. Sein Rap und seine Performance ist besser als alles, was ich in
Deutschland gesehen habe. Das sind Texte aus der Wirklichkeit. Wenn ich mir
statt dessen lauter glattgestriegelte und mit Harmlosigkeitssiegeln versehene
Songs anhören muss: danke schön!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen