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Donnerstag, 22. März 2012

Poetologie des Blogs (9): Eelco Runia, Breukvlak

Vor ein paar Jahren hörte ich, dass ein Kollege, der Geschichtsphilosophie unterrichtet, an einem Roman schreibt. So etwas macht mich neugierig. Als ich in der Buchhandlung in das 2008 unter dem Titel Breukvlak erschienene Buch hinein blätterte und den Klappentext las, war ich sofort gefangen: der Roman ist in Form eines Weblogs geschrieben und handelt von einem sechsmonatigen Aufenthalt des Kollegen an der Stanford-University in Kalifornien.

Das Buch reflektiert, was ein Blog tut und mit uns tut und es handelt von den verschiedenen Annäherungen an die Realität mit Fotos, Kunstwerken und Romanen; es ist ein theoriegesättigtes, also eigentlich ein sehr deutsches Buch und nicht so sehr ein niederländisches. Der Autor hat darin im Übrigen auch viel mit Hans Ulrich Gumbrecht zu tun, dem bekannten deutschen Literaturwissenschaftler in Stanford, der sich mit einer Theorie der Gegenwart beschäftigt.
Aber damit kein falscher Eindruck entsteht: In erster Linie handelt es sich um ein hochamüsantes Amerika-Buch und eine Art Campus-Roman aus europäischer Sicht.

Der Klappentext beginnt so: „Ein Weblog, so überlegte ich während des Essens, ist eine Peepshow. Ich führe ein Kunststückchen vor und ihr guckt zu. Ich weiß nicht, wer guckt oder geguckt hat und welche Kunststückchen euch am meisten erregen.“
Als ich das Buch gelesen hatte, habe ich Kontakt mit dem Autor, Eelco Runia, aufgenommen und eine Probeübersetzung gemacht. Das hat zwar leider nicht zu einer deutschen Ausgabe geführt, aber ich kann jetzt daraus ein paar Teile zur Poetologie des Blogs zitieren:

„Was ist ein Weblog eigentlich genau? Oder besser: was will ich damit? Bis jetzt habe ich so getan, als ob mein Weblog eine Art Tagebuch ist, ein Tagebuch, aus dem ich jeden Tag eine Seite herausreiße, die ich fein säuberlich abgetippt an das große Weltaushängebord hefte. Ein Tagebuch, das an den größten gemeinsamen Teiler der Menschen gerichtet ist, die daran interessiert sein könnten.

Aber das ist es nicht, was ich will. Ich will nicht nur etwas mit der Tatsache machen, dass ich over here bin, herausgerissen und an der Bruchfläche zwischen einem alten und einem neuen Leben, sondern auch mit der Tatsache, dass ein Weblog etwas essentiell anderes ist als eine moderne Variante des Tagebuches. Vielleicht besteht das Wesen des Weblogs nicht einmal so sehr darin, dass es öffentlich ist und Berichte enthält, die verifizierbar an einem bestimmten Tag, ja zu einem bestimmten Zeitpunkt publiziert wurden. Viel wichtiger, glaube ich, ist das Element der Selbstdramatisierung. Ein Weblog (jedenfalls ein persönliches Weblog so wie ich es schreibe) ist verwandt mit einer real-life soap: beide geben vor, ein neutrales Medium zu sein, sind es aber absolut nicht. Sowohl in einem Weblog als auch in einer real-life soap infiziert die Form den Inhalt, der ‚Schauspieler‘ das ‚Drama‘, der ‚Beschreiber‘ das ‚Beschriebene‘. Die pure Tatsache, dass ein Blogger sich vorgenommen hat, ein Blog zu führen, hat Einfluss auf das, was er in dem Weblog beschreibt. Das Weblog beginnt sein Leben zu steuern, stärker noch: es fiktionalisiert sein Leben. In diesem Sinn ist ein Weblog ein Roman, in dem der Blogger im Prozess des Schreibens die Figur erschafft, die den Roman schreibt. So empfinde ich das auch: dieses Weblog wird geschrieben von der Figur, die sich daraus entwickelt, nicht von mir. Und ich bin nicht die Figur, die sich daraus entwickelt – die geht völlig auf Kosten des Schreibers dieses Weblogs.“

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