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Montag, 24. September 2012

Clemens Setz, Indigo (05): Das Wesen der Ferne – Ein trostloses Meisterwerk

Neben den zahllosen Gesprächen besteht der Roman Indigo aus vielen zwischendurch eingestreuten kurzen Texten, die reale oder fiktive Zitate aus literarischen Werken und Sachbüchern sind. Eine Haupt“quelle“ dieser Texte ist das von Setz erfundene Buch „Das Wesen der Ferne“ der „Kinderpsychologin und Pädagogin Monika Häusler-Zinnbret“. Gleich im ersten Kapitel besucht der Protagonist Setz Frau Häusler in ihrer Wohnung in Graz, um mit ihr über die Indigo-Kinder zu sprechen, ein Gespräch, nach dem der Leser so schlau ist wie zuvor.

Die Zitate aus „Das Wesen der Ferne“ betreffen (mit einer Ausnahme) real existierende Dinge, die auch jeweils mit einem Foto dokumentiert werden: die Leninbüste „auf dem sog. Südlichen Pol der Unzugänglichkeit, dem geographisch am weitesten von der Küstenlinie entfernten Punkt der Antarktis“ (62), den einsamsten Baum aller Zeiten in der Wüste Ténéré (167), die einsamste Telefonzelle aller Zeiten in der Mojave-Wüste (339), einen der letzten „Tatzelwürmer“ in Österreich (367), die kleine Keramikplatte mit Werken von sechs Künstlern, die als „Moon Museum“ am Landebein der Mondfähre von 1969 befestigt ist (443).

Belka während des Flugs
Diese Texte stehen meist unkommentiert für sich (als Dokumente der beiden „Mappen“), manchmal wird in den Gesprächen ein Zusammenhang mit den Indigo-Kindern suggeriert. Dort kommen auch weitere, strukturähnliche kleine Geschichten aus der Realität vor, zum Beispiel die von den beiden Hunden Belka und Strelka, die 1960 mit dem Sputnik 5 ins All geflogen waren und lebend, aber verstört zur Erde zurückkehrten (155). An anderer Stelle ist die Rede von einer „Postkarte, die einen fröhlich lächelnden Hund in einer Raumkapsel zeigt“ (455). Dabei geht es um Laika, den ersten Hund im Weltraum, der allerdings nicht lebend zurückkam. Gemeinsam sind all diesen Geschichten der Eindruck von Trostlosigkeit und Angst, der von ihnen ausgeht – sowie die Vertuschungsversuche, die von allen Seiten unternommen werden.

Der Zusammenhang mit den Indigo-Kindern betrifft die Kategorien Einsamkeit und Entfernung. Auf abstrakter Ebene wird von Anfang des Romans an hierfür das Schema der Quincunx angeboten, das auf Seite 22 zum ersten Mal erwähnt wird und sogar ein eigenes Kapitel erhält (189-198). Die Urform der Quincunx ist die Äquidistanz der fünf Punkte auf dem Spielwürfel. Das Schema lässt sich auf beliebig viele Punkte ausweiten (Abbildung Seite 196), und es ist die Aufstellung, die die Indigo-Kinder von Helianau auf dem Schulhof im sogenannten „Zonenspiel“ (211-213) einnehmen.
 
Abbildung aus dem Roman
Kurz gesagt: Die Indigo-Kinder sind wir. Setz‘ Roman ist eine postmodern erscheinende Kompilation zum Phänomen der zunehmenden Einsamkeit des Menschen in der Gegenwart und seiner Entfernung vom Nächsten. Dies betrifft insbesondere die nach 1990 Geborenen. Ein Zusammenhang mit der gleichzeitig stattfindenden Kommunikationsrevolution von Internet und Mobiltelefonen liegt nahe (vgl. die häufig genannten „iBalls“ in Indigo). Insofern können wir auch vom Versuch einer Theorie der Gegenwart in Form eines Sprachkunstwerks reden. Von den spielerischen Romanen der Postmoderne unterscheidet sich Indigo durch seine Ernsthaftigkeit und Trostlosigkeit.

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