Dafür wurde ich Zeuge eines amüsanten intellektuellen Pingpongspiels zwischen Hans Ulrich Gumbrecht und Helmut Lethen über Nähe und Distanz des (Kultur-)Wissenschaftlers zu seinem Objekt. Sie zelebrierten in ihrem Podiumsgespräch (zusammen mit Ulrich Raulff und dem Moderator Stephan Schlak) eigentlich eine etwas verzweifelte Koketterie mit dem schönen Augenblick, der nicht verweilen will: Bei Gumbrecht ist das sehr deutlich in seiner romantischen Theorie der „Präsenz“ geronnen. Lethen bohrte daran herum, gab sich aber selbst nicht preis, auch nicht nach dem Gestichel von Ulrich Raulff. Er las lieber lange Zitate nicht Anwesender vor und provozierte damit ein Stirnrunzeln des schlaksigen aber hochkompetenten Moderators.
Karl Heinz Bohrer
hielt gesenkten Hauptes in hohem Tempo und gnadenloser Dichte einen Vortrag über poetische
Erinnerung (im Kontrast zur historischen), aus dem zwei Drittel des Publikums
bei erster Gelegenheit die Flucht ergriff. Dadurch verpassten viele die
unwillig hervorgestoßenen Bekenntnisse des grantigen Grandseigneurs (mit Dank
an Stephan Schlak: Er hat sie ihm abverlangt) zu seinem im Oktober
erscheinenden ersten Roman, der eine Exemplifikation seiner Theorie der
poetischen Erinnerung anhand seiner eigenen Kindheit im Kölner Bombenhagel sein
soll.
Auch Gumbrecht
und Lethen veröffentlichen in diesem Jahr Bücher, in denen sie ihre
Altersweisheit an Jugenderinnerungen koppeln. Kein Zufall gewiss: dass drei alte
Knaben in der Zielkurve ihrer Karrieren vom Hier und Jetzt ergriffen sind und
es anhand ihrer Jugendzeit zu er- und begreifen suchen. Zielkurven sind ja
gefährlich: Man muss durchstarten und darf dabei nicht aus der Bahn fliegen.
Ich habe dazu ein
Foto gefunden. Hier sehen wir Bohrer, Gumbrecht und Lethen: Sie haben sich die
Helme aufgesetzt und suchen Bodenberührung.
Ach ja: die Titel
der drei zu erwartenden Bücher, meine Lesekurve in den folgenden Monaten:
Karl Heinz Bohrer,
Granatsplitter. Eine Erzählung (30. Juli 2012)Hans Ulrich Gumbrecht, Nach 1945: Latenz als Ursprung der Gegenwart (13. August 2012)
Helmut Lethen, Suche nach dem Handorakel: Ein Bericht (Oktober 2012)
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