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Donnerstag, 30. August 2012

Der beste deutsche Roman der letzten zwanzig Jahre: „Austerlitz“ von W. G. Sebald


Der Roman Austerlitz (2001) von Winfried G. Sebald ist das bedeutendste Beispiel für die literarische Behandlung der deutschen Vergangenheitsschuld. Das Sehen beziehungsweise das unzulängliche Sehen spielt darin eine große Rolle.
 
Der mysteriöse Titel Austerlitz ist der Name der Hauptfigur. Austerlitz ist 1939 als Fünfjähriger mit einem Kindertransport aus Prag nach England gekommen und von einer englischen Familie adoptiert worden.

In Austerlitz wird eine Philosophie des unzureichenden Sehens im Hinblick auf Vergangenheit und Erinnerung entwickelt, eine Art Sebaldsche Unschärferelation. Je näher man hinzuschauen versucht, desto undeutlicher wird das Gesehene. Als Erwachsener begibt Austerlitz sich auf die Suche nach seinen wirklichen Eltern. Die Bruchstücke seiner Erinnerung treiben ihn in durch Europa, in einer um das schwarze Loch Deutschland herum kreisenden Bewegung, bis er in Prag die richtige Spur findet. Immer wieder spielt bei dieser Suche das unzureichende Sehen und Erkennen eine Rolle, bis zum Höhepunkt der auf Film und Foto festgehaltenen Bilder seiner Mutter in Theresienstadt, die sich in Zeitlupe und Vergrößerung in unscharfe Pixel auflösen.

Sebald ergänzt seinen Text mit Dutzenden von Fotos, die Austerlitz‘ Suche und Erinnerung dokumentieren und das Unschärfesyndrom demonstrieren. Am Anfang des Romans werden alle Motive wie in einer Ouvertüre angespielt. Gleich die ersten vier Abbildungen sind dem Motiv des Sehens gewidmet: zwei Fotos der großen Augen von Nachttieren mit besonderem Sichtvermögen und zwei von den Augen von Menschen mit gesteigerter Erkenntnisfähigkeit. Bei letzteren handelt es sich um die Augen des Philosophen Ludwig Wittgenstein und des Malers Jan Peter Tripp, der ein Freund Sebalds war.

Sebald fährt hier sozusagen die Wahrnehmungs- und Erkenntnisspezialisten der Tier- und Menschenwelt auf, aber nur, um sie schon im nächsten Moment wieder in Frage zu stellen.

Leider war „Austerlitz“  Sebalds letzter Roman. Der Autor ist kurz nach der Fertigstellung bei einem Autounglück ums Leben gekommen.

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