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Samstag, 4. August 2012

Alternativen zum Literaturkanon der ZEIT (4), 1960-1969

Die ZEIT nennt

-        Max Frisch, Mein Name sei Gantenbein (1964)

-        Heinrich Böll, Ansichten eines Clowns (1963)

Café Deutschland empfiehlt

-        Peter Weiss, Der Schatten des Körpers des Kutschers (1960)

-        Ernst Jünger, Subtile Jagden (1967)

Peter Weiss‘ „Mikro-Roman“ Der Schatten des Körpers des Kutschers habe ich mit fünfzehn Jahren zum ersten Mal gelesen. Ich weiß noch, dass mich die neue Art des Beschreibens sehr fasziniert hat. Weiss legt die beschriebenen Örtlickeiten quasi unter ein Mikroskop und die beschriebenen Zeitlichkeiten unter eine Zeitlupe. Alles wird bis in die Details aus einem zurückgezogenen, heimlichen und damit voyeuristischen Blickwinkel gesehen, was dem Text eine besondere Intensität gibt. Inwieweit mich dabei die sexuellen Phantasien des jungen Protagonisten und die von ihm beschriebene Kopulation des Knechtes mit der Magd bei der Stange hielten, vermag ich nicht zu sagen.

Ungewöhnlich auch die von Weiss angefertigten Collagen aus schwarz-weißen Zeichnungen, die alle zehn Seiten eine Art surrealistische Verbindung zum Text herstellen. Die Eröffnung dieser neuen Dimension des Schreibens, die dem französischen Nouveau Roman ähnelt, hat Peter Weiss selber gar nicht weiter verfolgt, aber sie hat zum Beispiel Ror Wolf, den ich später gerne gelesen habe, das Handwerkzeug geliefert. Der Text ist 1952 entstanden, hat aber erst 1960 einen Verleger gefunden und ist in den politischen sechziger Jahren ein interessanter Fremdkörper gewesen.

Auch der folgende Titel passt scheinbar nicht ins Jahrzehnt und hat gerade deswegen Aufmerksamkeit verdient: Ernst Jüngers Subtile Jagden, eine Mischung aus Erzählung, Tagebuch und Essay. Das Buch handelt von Käfern, könnte man sagen, und das ist sicher nicht falsch. Es handelt von der Faszination des Sammelns: Auch das trifft zu. Ernst Jünger hat sein Leben lang Käfer gesammelt und galt als bedeutender Entomologe. Sein Haus war voll von auf Stecknadeln gespießten Käfern. Aber eigentlich geht es in diesem Buch um eine unterhaltsame Erzählung vom Sammeln als Kulturhandlung und ästhetische Existenz. Dazu gehören Reisen, Naturerfahrung, Beobachtung, Lesen und Kommunizieren: der ganze Kosmos der Kultur. Das ist die andere Seite des als „Krieger“ berühmt gewordenen und oft verunglimpften Autors. Erschienen in einer Zeit, deren junge Generation als „politisiert“ galt und den „Tod der Literatur“ verkündet hat, ist dieses schöne Buch ein wunderbares Überlebenszeichen der alten europäischen Kultur in der erzählerischen Wüste der sechziger Jahre.

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