Was wäre, wenn mit dieser episch breit ansetzenden utopischen Erzählwelt,
die uns die Geschichte der kommenden fünf Jahrhunderte vorführt, in denen sich
ein durch Genmanipulation befriedeter Teil der Menschheit auf der Erde und ein
agressiver, dynamischerer Teil auf dem Mars weiterentwickelt hat, was wäre,
wenn mit dieser Erzählwelt eine wild auswuchernde Parabel des geteilten
Deutschland beabsichtigt ist?
Fritz Raddatz hat sich nämlich von Jirgl aufs falsche Gleis
lenken lassen, als er in der immer noch einzigen größeren Rezension tief enttäuscht schrieb:“Meine Faszination war wohl nicht zuletzt entzündet von der bohrend-intensiven Auseinandersetzung mit der Schrott-Welt namens DDR, die uns der 1953 in Ost-Berlin Geborene [Jirgl] ‘aufhob’ im Hegelschen Doppelsinn des Wortes. Von diesem Mini-Kosmos hat Jirgl sich nun in seinem neuen Roman gänzlich gelöst.”
Reinhard Jirgl |
Der Roman zoomt nach den episch erzählenden Teilen auf den Tag
im 25. Jahrhundert ein, an dem die Mars-Menschen auf die Erde zurückkehren. Just
in jener Nacht wird die “Imagosphäre” zerstört, die die Erdmenschen vor den Unbilden
der Natur beschützt und unter einer Art Kontrollschirm gehalten hat. Der Leser
erlebt den Vorgang aus der Perspektive der 25jährigen Hauptfigur (die
Orthographie ist Jirgls Spezialität):
“!Welch gewandeltes
Bild, !welch Anblick: Auch jetzt füllt den Platz Einegroßemenge Menschen,
vermutlich auch sie auf der Suche nach Demfehler im kommunalen Großrechner,
unterhalb dieser Esplanade stationiert. ?Weshalb
aber harren sie hier=?oben aus. Die meisten offenbar aus dem Schlaf
gerissen, ungeschminkt nachlässig die Leiber mit Irgendkleidungsstücken dürftig
verhüllt, drängen sie dichtandicht zu 1ander, - schweigend kein Laut – und der
Meisten Köpfe gehoben, dorthin wo in Hundertemetern über uns bis vor-Kurzem noch
die Imagosfäre ausgespannt schwebte. -? Warum ist Unser=Himmel ?erloschen.”
(Jirgl, Nichts von euch auf Erden, 129)
Das ist die Nacht des Mauerfalls! Seite 129. Solange habe
ich gebraucht, um darauf zu kommen! Das zeigt das Erzählte in einem neuen Licht.
Jirgl könnte zwei literarische Utopien als Vorbilder für
seinen Einfall benutzt haben: Alfred Döblins “Berge, Meere und Giganten” (1924)
und Kurd Lasswitz’, “Auf zwei Planeten” (1897). Um meine Hypothese zu
untermauern, werde ich in diesem Blog ein Lesetagebuch führen.
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