Um genau neun Minuten nach sechs abends falle ich
ohne nähere Kriegserklärung in Deutschland ein. Die Schilder ändern ihre
Farbe, die Buchstaben ihre Form, ich werde ein Ausländer, und während ich
weiterfahre wird es dunkel. Es ist wenig Verkehr, Gelegenheit genug zu
meditieren. Die deutsche Landschaft gleitet vorbei, und ich dringe in ein viel
gröβeres Ganzes ein als dasjenige, aus dem ich gerade komme. Die Autobahn ist
so etwas wie eine Bahn um die Erde. Wenn man irgendwo hin will, muss man den
Kurs ändern. Schafft man es nicht, die Raketenmotoren rechtzeitig in Betrieb
zu nehmen, dann wäre man dazu verdammt, auf ewig in einer Bahn um Deutschland
zu kreisen, ohne jemals in Köln, Würzburg, Wertheim, Nürnberg, München oder wie
die Krater auch heiβen landen zu können. Ein schimmelndes Skelett im Ewigen
Mercedes.
Wer öfter nach Deutschland kommt, muss die Gefühle
kennen, die mich langsam aber sicher umfangen. Aus dem Autoradio erklingt Musik
für Lastkraftfahrer, dieselbe Art Musik, die beim Steig‑ und Sinkflug in
Flugzeugen benutzt wird und dazu dient, durch ihre betäubende Wirkung die Angst
vor dem Übernatürlichen zu beschwören. An der Autobahn liegen keine Städte. Da
liegen nur Schilder, die Städte bedeuten sollen. Manchmal raucht in der Ferne
wohl einmal ein Schornstein oder es erstreckt sich ein Wald die Hügel hinauf,
in dem nach Aussage wiederum eines Schildes Hirsche zum Vorschein kommen
können, aber Beweise gibt es nicht. Das Beste unter diesen Umständen ist,
einfach zu einer Unio mystica mit der Autobahn zu kommen, sich mit dem Beton
und den Rillen im Beton zu vereinen, denn nach einer Stunde oder länger, die
man mit diesen geistigen Übungen verbracht hat, drängt sich einem die
schreckliche Wahrheit auf: dass Deutschland vielleicht gar nicht existiert.
Schlieβlich hat man in anderen groβen Ländern (wie England oder Frankreich)
auch Autobahnen, aber die münden im richtigen Augenblick immer wieder bei
irgendeinem mittelalterlichen Dorf, durch das man in endlosen Staus stundenlang
hindurch muss, aber dann weiβ man jedenfalls, dass das Land existiert. Nicht
hier. Wald, Wiese, Flur, Hügel, Gebirge sind flüchtige Schatten, und nur mit
äuβerster Willenskraft zwinge ich mich aus dem schicksalhaften Kreis heraus und
komme auf eine echte Straβe mit echten Pflastersteinen, Richtungsschildern in
dieser merkwürdigen Farbe Gelb, derer ich mich noch aus meiner entschwundenen
Jugend erinnere, Gasthäusern, aus denen Menschen herauskommen: ich bin in Köln,
in einem Hotel neben dem Dom.
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