Ich drucke ihn hier noch einmal ab:
Der Flaneur nach Auschwitz
Cees Nooteboom und Armando in Berlin
Peter Groenewold,
Rijksuniversiteit Groningen
Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus
Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im
Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind
aufgerissen, sein Mund steht offen, und seine Flügel sind ausgespannt. Der
Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit
zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine
einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor
die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das
Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradies her, der sich in seinen
Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen
kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, während der
Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen,
ist dieser Sturm.[1]
Walter Benjamin, Geschichtsphilosophische Thesen (1940)
1. Nooteboom läuft
Auf der allerletzten Seite von Cees Nootebooms Roman Allerzielen (1998), die mancher Leser
vielleicht gar nicht entdeckt, da er mit einer gewissen Berechtigung der
Meinung ist, der Roman sei bereits zuende - findet sich ein Zitat des italienischen Autors Roberto Calasso aus
dessen literarisch-geschichtsphilosophischer Reflektion der Moderne De ondergang van Kasj. Das Zitat enthält
eine Kritik an der modernen Geschichtswissenschaft. Es lautet: “Met haar
honger naar de meest irrelevante details, haar vermogen hele planken documenten
te verslinden die op het punt stonden tot stof te vergaan, kruisverhoren die
misschien nooit door iemand waren gelezen, niets eens door de griffier die ze
eigenhandig had geschreven, is de geschiedschrijving de laatste decennia
voortgegaan, al spiegelde ze zichzelf wat haar motieven betreft maar wat voor:
hele horden onderzoekers meenden de waarheid dichter te benaderen door stapels
papier door te werken – of meenden zelfs wetenschappelijk bezig te zijn door
cijfers en tabellen te verklaren. Hoe verwoeder ze de nuchtere gegevens echter
omcirkelden, hoe duidelijker die het ondoorgrondelijk mysterie van ieder
historisch spoor blootlegden. Achter die namen, notariële akten en juridische
dossiers gaapte te onmetelijke afasie van het leven dat zich in zichzelf
opsluit.”[2]
Zum Weiterlesen hier klicken:
Wer ein solch kritisches Zitat an das Ende seines Buches
stellt, meldet damit einen Anspruch an. Der Roman Allerzielen ist unter anderem der Versuch, diesen Anspruch einer
alternativen Geschichtsschreibung einzulösen, und unter diesem Aspekt möchte
ich ihn hier behandeln. Der Leser kann natürlich nicht anders als das Zitat in
Beziehung zu dem gerade gelesenen Roman zu setzen. Und wenn er sich fragt,
warum es am Ende des Romans steht und nicht als Motto am Anfang und suchend
zurückblättert, findet er den Ort des Mottos besetzt durch zwei weitere Zitate,
eines von F. Scott Fitzgerald: “So we beat on, boats against the current, borne
back ceaselessly into the past” und eines von Franz Kafka über das Motiv der
Sirenen, das in Nootebooms Roman ständig wiederkehrt: “Nun haben aber die
Sirenen eine noch schrecklichere Waffe als ihren Gesang, nämlich ihr
Schweigen.” Die drei Zitate geben dem Roman einen Rahmen und deuten sein Thema
an: die unermeßliche Aphasie (Sprachlosigkeit, Unmöglichkeit, etwas zu sagen)
des Lebens, die endlose, gegen den Strom der Zeit gerichtete Suche in der
Vergangenheit und die Begegnung mit der äußersten Gefahr, vor der es keine Warnung
gibt: in Nootebooms Roman erfahren wir dies als kunstvoll ineinandergeflochtene
Konstruktion der persönlichen Geschichte der Hauptfigur Arthur Daane, die in
vielen Aspekten ein Alter Ego Cees Nootebooms ist, seiner Erinnerungen,
Reflexionen, Assoziationen und Gespräche mit Freunden in Berlin, die sich
hauptsächlich um deutsche Kultur und deutsche Geschichte mit ihrer negativen
Finalität im Holocaust drehen, und seinem Verhältnis mit der jungen Elik
Oranje, das ihn vom dunklen Berlin ins helle Spanien führt.
Ich beschäftige mich heute mit einem Teilaspekt dieses
Romans, von dem in manchen niederländischen Kritiken überhaupt keine Rede ist,
in den deutschen dafür um so mehr. Für mich hat in diesem Buch, das wie ein
melancholisch-düsterer Schwarzweißfilm wirkt, die Stadt Berlin die eigentliche
Hauptrolle. Berlin, so wie es in der Wahrnehmung Arthur Daanes/Cees Nootebooms
Mitte der neunziger Jahre erfahren wird. Ganz bewußt hat Nooteboom aus Daane
nicht einen Schriftsteller, sondern einen melancholisch-vergrübelten
Dokumentarfilmer gemacht, der mit Vorliebe in der Stunde zwischen Licht und Dunkelheit seine
Aufnahmen macht.
Nooteboom läuft: Die ersten 77 Seiten des Romans Allerzielen sind ein einziger langer
Lauf, scheinbar ziellos, unmotiviert, gegen eiskalten Wind und Schnee.
Nooteboom in seinem Alter Ego Arthur Daane läuft durch die Straßen von
Westberlin so wie Lola rennt. In “Lola rennt”, einem der erfolgreichsten
deutschen Spielfilme der letzten Jahre, werden Schicksalsmöglichkeiten
durchgespielt, die vom immer wieder neu variierten Lauf der Protagonistin Lola
durch die Stadt abhängen. Auch Nooteboom läuft in einem gewissen Sinne um sein
Leben, auch wenn niemand hinter ihm her ist und er kein vorgefaßtes Ziel hat.
Es ist ein existentielles Laufen, laufen als intensivierte Existenzform, jedoch
mit einer eigenartigen Ambivalenz: “Lopend had hij het gevoel dat die leegte
door hem heen stroomde, dat hij transparent was geworden, of er op een
eigenaardige manier niet was” (18).
Für die Nachkriegsgenerationen vor der Wende von 1989
war die Gegend in Berlin Charlottenburg um den Savignyplatz herum das Zentrum
der Schönheit und des Esprits von Westberlin. Man merkt dem Viertel seit der
Mitte der neunziger Jahre deutlich an, daß mit der Verlagerung der Treffpunkte der
Boheme in den Ostteil der Stadt sein alter Glanz am Verblassen ist, aber alle
notorischen Berlinrückkehrer, und so auch Nooteboom, der dort seit 1989 seine
Berliner Wohnung hat, suchen diese Straßen immer wieder auf. Sein Laufen ist ein Lauf gegen die
Vergangenheit in einem mehrfachen Sinne.
Daane/Nooteboom läuft sehend, denkend, reflektierend
durch die Seitenstraßen des Kurfürstendamms, dort wo sich vor dem Fall der
Mauer die intellektuelle und künstlerische Szene des Westens getroffen hat: von
der Knesebeckstraße zum Savignyplatz über die Kantstraße zum Steinplatz,
Uhlandstraße, Schillerstraße, Hardenbergstraße, Ernst-Reuter-Platz,
Otto-Suhr-Allee, Richard-Wagner-Platz, Charlottenburger Schloß, mit der U-Bahn
zum Café Einstein, wieder zurück in die Goethestraße – wo Nooteboom wohnt – und
um die Ecke in die Sesenheimerstraße – wo Nooteboom sein Alter Ego Daane wohnen
läßt, der dort nun seine Kamera holen muß, um – als düsterer Höhepunkt dieses
Stadtlaufs - am Potsdamer Platz, der in der Mitte der neunziger Jahre noch die
eindrucksvolle Riesenbaustelle an der Nahtstelle der vereinigten Stadt ist, die
speziellen Licht-Dunkel-Effekte einzufangen.
Berlin und Paris sind für Cees Nooteboom die beiden
Städte, die “om lopen vragen” wie keine andere. Und wenn Paris bei Walter
Benjamin, auf den sich Nooteboom ausdrücklich bezieht, die Stadt des
neunzehnten Jahrhunderts ist, dann ist Berlin für Nooteboom die Stadt des
zwanzigsten Jahrhunderts, des “Wahnsinnsjahrhunderts”, wie er sagt (wobei der
“Wahnsinn” sich zumindest nicht in erster Linie auf den oft gehörten
fassungslosen Aufschrei beim Fall der Mauer bezieht, sondern auf die Schrecken
des Hitlerregimes). In Berlin wird gleichsam im Vorübergehen etwas sichtbar und
erfahrbar, was in keiner anderen Stadt der Welt zu sehen und zu erfahren ist.
Ein Bruch geht quer durch die Stadt hindurch, die Folge eines “Schlaganfalls”.
Seine Ursache ist “de onvolledige vorm van de geschiedenis die politiek wordt
genoemd".[3] Der Niederländer Arthur Daane, der durch Berlin läuft,
gerät in seinen Bann, wird fasziniert “van de wijde straten waar hele legers
doorheen konden trekken, van de pompeuze gebouwen en de lege ruimten
daartussen, en van de wetenschap van wat er in die ruimten gedacht en gedaan
was, een opeenstapeling van in elkaar hakende en elkaar veroorzakende
bewegingen van daders en slachtoffers, een memento waarin je jaren zou kunnen
ronddwalen.”[4]
Das Zitat zeigt die Ambivalenz, die Nooteboom gegenüber
Berlin empfindet, seine Faszination durch die Schönheit und die Schrecken der
Geschichte und Kultur in dieser Stadt von Tätern und Opfern.
Die ambivalente Struktur von Motiven und Metaphern ist
ein wichtiges Instrument in diesem Buch. Immer wieder setzt Nooteboom eine
vexierbildartige Optik des Schreibens ein. Er hält uns – um mit einem Begriff
Benjamins zu sprechen - “Denkbilder” vor. Schon die ersten zwanzig Zeilen des
Romans machen das poetologische Prinzip deutlich: ein Wort, von Arthur Daane im
Vorbeigehen am Schaufenster einer Buchhandlung halb unbewußt auf dem
Titelumschlag eines Buches wahrgenommen, hakt sich in seinem Bewußtsein fest
und wird reflektiert: das deutsche Wort “Nische”. Übersetzt ins Niederländische
klingt es für ihn ungefährlicher: “nis”, und neben der Ambivalenz des Klanges
stellt er auch eine der Bedeutung fest: Eine Nische ist etwas, worin man sich
verbergen kann oder worin man etwas Verborgenes antrifft. Und Berlin,
Westberlin, diese merkwürdige Stadt, die mit ihrem nie ganz geklärten
politischen Status jahrzehntelang eine Art virtueller Nische zwischen den
großen Weltmachtblöcken gewesen ist und auch tatsächlich wie keine andere
deutsche Stadt einer alternativen Nischengesellschaft Raum geboten hat, dieses
Berlin ist auch für Daane/Nooteboom ganz persönlich zu einer Nische geworden,
in der er sich verbergen kann und in der er Verborgenes findet.
2. Der Flaneur nach Auschwitz
Am Potsdamer Platz zum Beispiel, der Nooteboom immer
wieder magisch anzieht, sieht er “een naar alle kanten opgewoelde aarde waarin
arbeiders met gele helmen in de diepte aan het wroeten zijn alsof ze het
verleden zelf zochten” (68) beziehungsweise “alsof ze een massagraf
blootleggen”. Die verborgenen Toten von Berlin, auch hier ist Nootebooms poetologische Ambivalenz am Werke: der
Bauplatz des neuen Zentrums von Berlin löst die Erinnerung an den Genozid der
Nazis aus. Berlin war die Zentrale der nationalsozialistischen Herrschaft, der
Ort an dem der Holocaust beschlossen wurde, und im alten Zentrum Berlins befand
sich der verkehrsreichste Platz Europas, der völlig von Bomben und Beschuß
zerstört wurde. Nach dem Kriege blieb dieser riesige Potsdamer Platz
jahrzehntelang eine nur spärlich bebaute, unkrautüberwucherte Einöde zwischen
Ost und West, deren Leere Daane an die Schlacht um Berlin, an Hitlers Bunker
und an die Folterkammern der SS erinnert, die dort irgendwo unter der Erde
liegen müssen.
Auf diesem Platz trifft Arthur Daane in der
hereinbrechenden Dunkelheit – “het duister is mijn specialiteit” sagt er von
sich selbst – eine deutsche Polizistin. Und wieder die Ambivalenz des Vexierbildes:
der deutsche Ordnungshüter in Uniform ist eine Frau, eine schöne junge Frau
noch dazu, deren blonde Haarpracht ihre Schirmmütze sofort ins Rutschen bringt.
Er schaut sie gern an und empfindet sie doch als “bewaakster van het dodenrijk”
(70). Dann wird sie plötzlich zu einem Einsatz gerufen, die Sirene ihres Wagens
heult auf und im nächsten Moment ist sie verunglückt und liegt blutend hinter
der zerbrochenen Schutzscheibe. Dieses spezielle Motiv der Ambivalenz
durchzieht den ganzen Roman: die Sirenen, die zugleich warnen und das Unheil
bringen. Im Motto von Kafka sind sie auf einen unheimlichen Höhepunkt gebracht:
das Schweigen der Sirenen als Augenblick höchster Gefahr.
Ein ähnliches Ambivalenzmotiv erscheint übrigens gleich
bei der ersten Person, der Daane auf seinem Lauf begegnet. Nooteboom gibt uns
ein Bild von fast überzogener Symbolik: eine uniformierte Deutsche, eine junge
Soldatin der Heilsarmee, hält in Schnee und Wind einen verwundeten Schwarzen im
Arm. Auch hier kommen Sirenen ins Spiel (über die herbeigerufene Ambulanz),
aber auch die schöne Frau selbst entwickelt für Daane sirenenartige Qualitäten,
die ihn in ihren Bann ziehen. So macht er die für einen Niederländer
bemerkenswerte Feststellung: “Duits in de mond van sommigen vrouwen was een van
de mooiste dingen die je kon horen” (28) und “Het ijsblauw van haar ogen was
levensgevaarlijk.” (29)
Die Stadt Berlin ist für Daane ein einziges großes
historisches Museum, das in all seinen Ecken, Straßen und Plätzen an die
mörderische deutsche Geschichte erinnert. In dieser Stadt läuft Nooteboom,
läuft er oft auch zusammen mit seinem Freund, dem Schriftsteller, Maler und
Bildhauer Armando, der im Roman Allerzielen
unter dem Namen Victor figuriert, einem Freund, dem er mehr noch als sich
selbst die Qualität des Berliner Flaneurs zuspricht:
“’Kijk, zie je die kogelgaten daar...’. Zo begon vaak een
Berlijnse wandeling met Victor. Op zulke ogenblikken leek het of hij zelf de
stad geworden was die zich iets herinnerde, een politieke moord, een razzia, een
boekverbranding, de plek waar Rosa Luxemburg in het water van het
Landwehrkanaal gesmeten was, tot hoever precies de Russen in 1945 opgerukt
waren. Hij las de stad als een boek, een verhaal over onzichtbare, in de
geschiedenis verdwenen gebouwen, martelkamers van de Gestapo, de plaats waar
het vliegtuig van Hitler nog had kunnen landen, alles verteld in een durend,
bijna gescandeerd recitatief.” (19f.)
“Hij las de stad als een boek”, “Er liest die Straße wie
ein Buch”: Fast wörtlich finden wir diesen Satz in Walter Benjamins Rezension
des Buches “Spazieren in Berlin” des deutsch-französischen Flaneurs Franz
Hessel wieder. (III 194) Benjamin begrüßt darin die “Wiederkehr des Flaneurs”
und reflektiert über die Möglichkeit des Flanierens im 20. Jahrhundert, ein
Thema, das auch sein Buch Einbahnstraße
bestimmt. Nooteboom und Armando wiederum setzen die Praxis des Flaneurs im
Berlin der achtziger und neunziger Jahre fort.
Sie lesen die Stadt mit niederländischen Nachkriegsaugen und –ohren.
“Victor: ‘Als je goed nagaat is dat het wat de steden
uitmaakt, gebouwen en stemmen. En verdwenen gebouwen en verdwenen stemmen.
Elke echte stad is een gestemde stad. Zo kan het wel weer.’
Arthur was die uitdrukking niet meer vergeten. De
gestemde stad. Dat gold natuurlijk voor alle oude steden, maar niet in alle
oude steden waren zulke woorden gezegd, geschreven, geroepen, geschreeuwd als
hier. De stad als stapelplaats van gebouwen, dat was één ding, maar stemmen,
dat was wat anders. Hoe moest je je die hoeveelheid voorstellen? Weg waren ze,
die woorden, hun doden vooruitgesneld, en toch kreeg je, juist in Berlijn, het
idee dat ze er nog waren, dat de lucht ervan verzadigd was, dat je door die
onzichtbare, onhoorbaar geworden woorden heen waadde, eenvoudig omdat ze hier
ooit uitgesproken waren, het gefluisterde gerucht, het oordeel, het commando,
de laatste woorden, het afscheid, het verhoor, het bericht van het
hoofdkwartier.” (151f.)
Nooteboom überlagert die sinnliche Wahrnehmung der Stadt
mit der Unterwelt ihrer Vergangenheit, und um diesen Charakter noch deutlicher
zu machen, läßt er es dunkel werden: “In Berlijn leek het eerder donker te
worden dan waar ook.” (51) Außerdem überzieht er die Stadt mit Schneegestöber und schneidendem
Wind. Aus der belebten Großstadt und ihrem weltstädtischen Lichterglanz wird so
ein düsterer Orkus, in dem außer Arthur Daane nur ein paar merkwürdige
Schattengestalten unterwegs zu sein scheinen. Auch himmlische Mächte werden
eingeschaltet. Als Daane am Charlottenburger Schloß vorbeiläuft, sieht er oben
auf der Schloßkuppel die goldene Fortuna stehen: “Daar danste ze, hoog boven de
koepel op de wereldbol, koud, met haar naakte gouden borsten gegeseld door de
sneeuw. Misschien kon ze haar zuster wel zien, de Friedensengel op de grote
Stern, ook al van goud. Vrouwen die iets voor moesten stellen, of dat nu de
Vrede was of de Overwinning, werden altijd zo hoog en zo ver mogelijk
weggezet.” (56) An dieser Stelle folgt im Roman der erste Zwischenkommentar der
Engel, die im Himmel über Berlin mit Sympathie den einsamen Stadtläufer im Auge
behalten und seinen Lauf zum Anlaß für Betrachtungen über Gott und die Welt,
Mensch und Geschichte nehmen. Sie sehen, wie der einsame Arthur Daane sich
durch die Schneelandschaft arbeitet, unterstützt von den Schneeräumern des
Berliner Stadtreinigungsbetriebs: “De opgehoopte sneeuw vormt aan twee kanten
een muur naast hem, hij loopt in een witte loopgraaf.” (57) Sie haben Mitleid mit den Menschen, die in
der Verstrickung von Gegenwart und Vergangenheit leben müssen, “dat voortdurend
veranderende verleden waar het heden jullie mee lastig valt. Helden die een
generatie later alweer misdadigers zijn, dat soort dingen, alsof de tijd achter
jullie voortdurend ontploft“ (58). Die Engel sind “zonder macht, al is het
misschien zo dat wat wij volgen pas door ons kijken ontstaat.” (58)
Die Wahrnehmung der Vergangenheit als explodierende Zeit
bei Nootebooms Engeln legt eine direkte Verbindung zu Walter Benjamins
vieldiskutiertem Engel der Geschichte aus den Geschichtsphilosophischen Thesen von 1940.[5] Diese Untersuchungen
zum Begriff der Geschichte, wie sie in der Gesamtausgabe heißen, sind das
letzte bekannte Werk des marxistischen Literaturwissenschaftlers und
Philosophen, der sich 1940 auf der Flucht vor den Nazis das Leben genommen hat.
Benjamins Werk war aktuell in der Achtundsechziger Bewegung und erlebte in den
neunziger Jahren eine neue bemerkenswerte Aufmerksamkeit, auch von
angelsächsischer Seite.
Zurück zum Engel: Ein wenig kühn ist es schon, daß
Nooteboom neben der Fortuna die Viktoria, Berlins geliebte Goldelse, in diese
Funktion zu bringen scheint. Schließlich wurde dieser sogenannte Friedensengel
nach dem letzten von Deutschland gewonnenen Krieg 1870/71 gegen Frankreich als Siegesgöttin auf die Siegessäule gestellt, der Benjamin in
seiner Berliner Kindheit um
Neunzehnhundert ein sehr kritisches literarisches Denkmal entgegengesetzt
hat. Es kann, es muß seine Liebe zur Ambivalenz sein, die Nooteboom dazu
bringt.
Walter Benjamin ist Nootebooms poetologische und
geschichtsphilosophische Referenzinstanz. Schon nach wenigen Seiten wird uns im
Roman Allerzielen erzählt, daß Arthur
und Victor einmal ein Fernsehprogramm über Benjamin hatten machen wollen. “Die
Sohlen der Erinnerung” hätte es heißen sollen, nach einer Formulierung von
Benjamin über den Typ des Flaneurs. Victor hätte in diesem Film den Berliner
Flaneur gespielt. Aber Benjamin war kein Thema fürs niederländische Fernsehen
in der heruntergekommenen Medienlandschaft, die nur noch “blubber” (dies ist
Nootebooms Wort, nicht meins) produziert, auch wenn der Redakteur, ein ziemlich
ekliger Altachtundsechziger, noch genau wußte worum es ging. Im Gespräch Daanes
mit ihm wird dem Leser ein Bild vom Leben und Sterben Benjamins vermittelt.
Übertragen wir den Dokumentarfilmer Daane in den Schriftsteller Nooteboom, so
leistet der Roman Allerzielen die
Hommage an Walter Benjamin dann doch noch in literarischer Form.Der Engel über Berlin |
Die Theorie und Praxis des Flaneurs spielt in Benjamins
Werk eine große Rolle: der Flaneur als Figur des 19. Jahrhunderts im
berühmt-berüchtigten Passagenwerk und der Berliner Flaneur des 20.
Jahrhunderts, dem er in einer Rezension des Buches Spazieren in Berlin von Franz Hessel Aufmerksamkeit widmet. “Die
Stadt als mnemotechnischer Behelf des einsam Spazierenden, sie ruft mehr herauf
als dessen Kindheit und Jugend, mehr als ihre eigene Geschichte. […] Die
Straßen sind ja die Wohnung des ewig unruhigen, ewig bewegten Wesens, das
zwischen Hausmauern soviel erlebt, erfährt, erkennt und ersinnt”. Benjamin liegt wert auf die Feststellung, daß
sich im Europa des 20. Jahrhunderts “der Wirklichkeitssinn, der Sinn für
Chronik, Dokument, Detail geschärft” hat. Der Moment, in dem er dies schreibt,
im Jahr 1929, betrifft allerdings noch ein ganz anderes Berlin als das, was wir
kennen. Die Naziherrschaft, der Krieg, die Endlösung und die Schlacht um Berlin
sind noch nicht sichtbar. Nooteboom und Armando dagegen sind Flaneure in Berlin
am Ende des 20. Jahrhunderts.
Zwischen Benjamin und ihnen liegt unendlich viel Geschichte, und doch sind sie
ihm sehr nah, können sie ihm sehr nah
sein, ihm der nur noch einen Schritt gebraucht hätte um emigrieren und
überleben zu können. “Stel je voor, Benjamin in Amerika, samen met Adorno en
Horkheimer”, spekuliert Nooteboom noch munter in Allerzielen.
In Abwandlung eines Ausspruchs von Theodor Adorno über
das Schreiben von Gedichten nach Auschwitz möchte ich feststellen: Nach
Auschwitz ist es unmöglich, durch Berlin zu flanieren. Aber genauso wie Adornos
Wort wahr ist und dennoch Gedichte geschrieben werden, können wir feststellen:
Cees Nooteboom ist der Flaneur nach
Auschwitz. Nootebooms Flaneur geht durch den schwarzen Schnee von Auschwitz und
ist dadurch verändert. Ich habe ein nüchterneres Wort gesucht als das vom
bohemienartigen Flaneur und möchte ihn lieber als Stadtläufer[6] bezeichnen. Der Stadtläufer ist der Typ des Flaneurs
nach Auschwitz. Er ist kein Bohemien mehr, er hat eine Aufgabe, ihm ist
gleichsam ein Amt verliehen. Banal gesagt, ist er ein Funktionär der
europäischen Vergangenheitsbewältigung. Er waltet seines Amtes, indem er mit
seiner Wahrnehmungskraft durch Berlin läuft und uns seine Befindungen
vermittelt. Er ist – meistens – ein Fremder. Daß es ihn gibt, bedeutet auch
eine große Tröstung. Darauf komme ich noch zurück.
Der Stadtläufer hat nicht die Unschuld des Flaneurs,
nicht seine Beliebigkeit. In all seiner scheinbaren Ziellosigkeit und
Zwecklosigkeit und in seiner postmodernen Gleichzeitigkeit historischer
Wahrnehmung ist er in Wahrheit doch ausgerichtet auf einen finalen Kulminationspunkt,
der nicht mehr überboten werden kann und darf. Nicht zufällig endet Nootebooms
Lauf am Potsdamer Platz. Der weiße Laufgraben mündet im imaginierten
Massengrab. Die Verbindung der inneren Leere des Stadtläufers und der
ungeheuren Leere des Potsdamer Platzes erzeugt den Erinnerungsraum für die
Vergegenwärtigung des ultimativen Schreckens der Geschichte, des in Berlin
erdachten und beschlossenen Holocaust. Alle Berliner Wege, so verschlungen sie
auch sein mögen, führen dorthin.
3. Der Flaneur hinter Masken: Armandos
“Feindbeobachtung”
Wo Nootebooms Lauf aufhört, da beginnt der Lauf
Armandos. Gleich im ersten der merkwürdig effektvollen Kurzprosatexte “Uit
Berlijn” ist der Erzähler am Potsdamer Platz: “Een grote hoop zand. Nou, wat is
er met die grote hoop zand. O niets, maar op deze plek stond toevallig het
statige gebouw van de Gestapo, dat wou ik alleen maar even zeggen. Nu loopt de muur er vlak langs. En meteen achter
de muur, drüben dus, staat met
gesloten ogen een nazibouwsel, een restant van het Reichsluftfahrt-ministerium. In dat Gestapogebouw gingen mensen in
en uit, functionarissen en anders-zins, waarschijnlijk waren dat gewone mensen.
Berlijn is een onbekommerde stad die van geen wijken weet. […]
Als je over de muur heenkijkt zie drüben de Potsdamer
Platz van nu: een leeg veldje. Versperringen en konijnen. En die bobbel daar
links in dat veldje, nou, daar was Hitlers bunker. Daar stond ook de
Rijkskanselarij. Is nu een bobbel met gras. Een stad vol valstrikken. Men waant
zich.”[7]
Armando hat eine womöglich noch intensivere Beziehung zu
Berlin als sein Freund Nooteboom. Seine Sicht der Stadt, seine Art der
Wahrnehmung und Interpretation, hat er in circa 80 kurzen Texten formuliert,
die von Begegnungen mit Menschen, Gebäuden, Hunden in Berlin ausgehen. Die
kurze Form kommt seiner Art des Schreibens sehr entgegen. Der pragmatische
Grund im Fall seiner Berlintexte ist, daß es sich um eine wöchentliche Kolumne
im NRC-Handelsblad handelte.[8] Später sind die Texte in drei Buchausgaben
zusammengefaßt worden: Uit Berlijn
(1982), Machthebbers (1983) und Krijgsgewoel (1986).
Während Nooteboom in der episch breiten Form des Romans
mit entsprechenden Konstruktionsbauteilen arbeiten kann, sind die
Konstruktionsbedingungen in Armandos Berlintexten, die meist nicht länger sind
als jeweils vier Seiten, völlig anders. Sein Fokus ist zurückgenommen von der
Ebene der Großepik auf die quasi atomare Ebene der Sprache, dorthin wo
sozusagen die Urkräfte literarischer Welterzeugung wirken. Der Erzähler in
Armandos Texten ist ein Flaneur hinter Masken, der sich eines doppelten,
uneigentlichen Erzählduktus bedient: dem des Feindbeobachters und dem des
Simplizissimus. Der Feindbeobachter nimmt alles wahr, auch scheinbar
Nebensächliches, er notiert und protokolliert. Der Simplizissimus setzt das
Wahrgenommene in eine scheinbar naive Sprache um und verhüllt es mit einer
scheinbar unwissenden Unschuld. Anders als Nooteboom geriert sich Armando also
nicht als der aufgeklärte, seine Bildung etalierende intellektuelle
Stadtläufer, sondern als klandestiner Flaneur, der sich hinter Masken verbirgt,
der sich schützen muß, ja bei dem sogar die Pose des Flaneurs eine Maske ist.
Die Sprache seiner Kurztexte ist schlicht, alltäglich, banal, so wie auch die
Wahl des Beschriebenen oft banal zu sein scheint: Protokolle von
Alltagsgesprächen älterer Menschen, Eindrücke von Gebäuden, Straßen, Plätzen
oder von vorbeilaufenden Hunden, die Heinrich, Wilhelm oder sogar Eberhard
heißen. Der Effekt der Prosa entsteht aus kontrastiven Leseerlebnissen, die den
Leser aufschrecken. Durch den maskierten Erzählduktus eingelullt, wird er von
einem unverhofft im Satz explodierenden Element aufgeschreckt, das auf die
Vergangenheit verweist. Armando läßt mit einem klammheimlichen Vergnügen die
Vergangenheit in die Gegenwart hineinplatzen. Je normaler, je banaler die
Gegenwart präsentiert wird, desto größer ist der so erzielte Schockeffekt.
Diese Effekte sind nicht leicht zitierbar. So paradox es
klingt: die Texte sind dafür zu lang. Um die Wirkung deutlich zu machen, müßte
man minimal ein, zwei Seiten zitieren, nein eigentlich alle vier. Aber es
funktioniert oft auch mit Kleinigkeiten, wie in der oben zitierten Stelle, wo
“met gesloten ogen een nazibouwsel staat”. Auch die “bobbel”, die sich als
Hitlers Bunker und die Reichskanzlei erweisen, gehören dazu.
Trotzdem will ich versuchen, an zwei Beispielen einen
Text Armandos und seine Wirkung zu beschreiben. In Vrees (211) gibt er ein Protokoll zweier banaler Alltagsgespräche,
die er als “Feindbeobachter” im Café Kranzler belauscht hat, dem inzwischen
verschwundenen bürgerlichen Traditionscafé am Kudamm. Zuerst ist es ein altes
Ehepaar, dann sind es zwei “wankele heertjes”. Nach deren belanglosem
Wortwechsel beschreibt er sie als “zieltogende arenden, die het klapwieken
verleert zijn”, um dann fortzufahren: “Ik ben er haast zeker van dat ze jong
zijn geweest.” Und schließlich folgt eine Aufzählung, was die Herren als sie
jung waren, alles an unverfänglich Menschlichem getan haben könnten und darin
als Letztes “en zij hebben laarzen gedragen. Ze hebben nog veel en veel meer,
maar ik heb liever niet dat je dat te weten komt.”
Der Text endet mit einer etwas rätselhaften und
unvermittelten Beobachtung, die mich auch wieder an Benjamins Engel der
Geschichte erinnert: “Ergens verderop, in een winkel, hangt een grote jurk voor
het raam, die heeft er nooit gehangen, die hing er nooit. Hoe of die daar komt.
De mouwen kijken strak opzij, zover als ze kunnen, ze zijn wars van de
toekomst. Wat of de beweegredenen zijn. Soms is het plotseling stil in deze
stalen straten, soms praten de mensen heel zachtjes. Waarom doen ze dat. Ze
vrezen iets, denk ik. Misschien vrezen ze iets. Wat, dat is me ontschoten.”
(213) Das ist ein eindringliches Bild, ein Denkbild. Wenn diese Vision der
Engel der Geschichte ist, so erinnert er mehr an eine Vogelscheuche, een
vogelverschrikker, und das hat auch etwas für sich.
In einem anderen Text mit dem Titel Van dames en dieren (15) geht Armando in den Berliner Zoo. Er
beschreibt die Tiere, die Fische, die Affen, die Nilpferde, von denen eins
Würstchen heißt und das andere Plumps. Dann richtet sich sein Blick auf das
Publikum, vor allem auf die einsamen älteren Damen, die mit den Tieren
sprechen, mit Knorke, dem Gorilla, mit Bolle, dem Seeelefanten und mit den neuen
Pandabären, aber die Bären schlafen und reagieren nicht. “De vrouwen blijven
wachten op een volgend teken van leven, urenlang. Hun door onaangename
levenservaringen verstrakte gezichten ontspannen zich, hun trekken krijgen iets
liefdevols, iets devoots bijna. Vrouwen kunnen zo mooi zijn, maar dat is
bekend.” Die Frauen winken, die Frauen warten. Am liebsten würden sie die Bären
streicheln. “’Zouden ze weich zijn’, vraagt er een verlegen. ‘O’, roept een
ander uit, ‘wunderbar weich!’ Ik raak in gesprek met een oppasser.
‘Eenzaamheid, mein Lieber’, zegt hij, ‘allemaal eenzaamheid. Die vrouwen zijn
hier de hele dag… Ze raken dik bevriend met de dieren. Heeft u ze zien wuiven
tegen de panda’s? Zo stonden ze vroeger te wuiven naar Hitler.’ Ik vraag hem
wat hij gedaan heeft in de oorlog, want hij heeft de leeftijd. ‘Ik heb niet
gewuifd’, zegt hij, ‘maar ik heb gemarcheerd voor Hitler, dat is nog veel
stommer.’”
4. Mnemopathen
Armando und Nooteboom sind auf die gleiche Weise nach
Berlin gekommen: über ein Jahresstipendium der segensreichen Einrichtung des
Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Der 1929 geborene Armando kam 1979
und ist geblieben. Nooteboom, Jahrgang 1933,
kam 1989 und kehrt seitdem stets in seine Berliner Wohnung zurück. Die
vier Jahre Altersunterschied sind gerade genug, um die Erfahrung der deutschen
Besetzung der Niederlande 1940-45 bei Armando anders aussehen zu lassen als bei
Nooteboom. Er lebte seit 1934 in einem Vorort von Amersfoort. Die Deutschen
errichteten in der Nähe ein Konzentrationslager. In den Wäldern um das Lager
herum spielte der heranwachsende Armando mit seinen Freunden. In Armandos
literarischem Werk kommt wiederholt eine Szene vor, die als Schlüsselszene zu
seinem gesamten künstlerischen Werk gelten kann: ein niederländischer Junge
wird am Waldrand in der Nähe des Konzentrationslagers von einem deutschen
Soldaten verhaftet und sticht diesen nieder.[9] Der Autor hat sich immer geweigert, sich dazu zu
äußern, ob und inwiefern diese Geschichte autobiographisch ist. Unwahrscheinlich
ist dies nicht, und es würde psychologisch viel von seinem späteren Leben und
Werk erklären, wenn er als vierzehn-, fünfzehnjähriger Junge tatsächlich einen
Deutschen getötet hätte. Das Thema von Opfer und Täter und deren
Austauschbarkeit, das Thema von Verantwortung und Schuld, die Motive der
“schuldigen Landschaft”, des “schuldigen Waldrandes” und des “plek”, des Ortes
oder Flecken, an dem es passiert ist, kehren in Armandos literarischen und
bildenden Werken immer wieder. Sein obsessives Interesse für Deutschland und
die Deutschen ist für einen Niederländer seiner Generation ungewöhnlich, fast
singulär. Die Erklärung dafür könnte in der tragisch-banalen Situation am
Amersfoorter Waldrand liegen. Ich erzähle dies der Vollständigkeit halber.
Sollte es nicht so sein, tut das der Wirkung seiner Werke keinen Abbruch.
Wüßten wir, daß es so ist, würden wir vielleicht sagen, ach ja, armer Junge,
armer Mann. Die Ungewißheit, das weiß Armando, ist die beste Voraussetzung für
eine kontinuierliche Spannung und Wirkung.
Mit dem DAAD-Stipendium zieht Armando 1979 in das
Berliner Atelier ausgerechnet des ehemaligen Nazi-Starbildhauers Arno Breker am
Rande des Grunewaldes ein. Seine ersten Berliner Serien von Gemälden und
Zeichnungen heißen Feindbeobachtung, Fahne, Feindberührung, Waldrand, Der Baum,
Gefechtsfeld.
“Die Feindbeobachtung
– een bestaande militaire term – kan ik niet verklaren. Zo’n tekening ontstaat
in een bepaalde tijd, en vanuit een bepaalde gedachtegang die mij bezighoudt.
Ik heb die tekening net vóór ik naar Berlijn ging gemaakt, en eenmaal in
Berlijn heb ik de grote zwarte doeken geschilderd die ik Feindbeobachtung
noemde. Je moet ze bekijken als lijnen, aantekeningen, notities, die niets
voorstellen maar een grote kracht hebben.”[10]
Später
kommen Serien wie Melancholie (1986
und 1998) und Schwarze Landschaft (1995). Seine literarischen Titel sind
entsprechend: Dagboek van een Dader
(1973)
Aantekeningen
over de vijand (1981).
Armando ist in seinen Texten aus den achtziger Jahren im
Bann seiner mnemopathischen Wahrnehmung. Aber da er bereits jahrzehntelang als
Schriftsteller, Maler, Zeichner, Bildhauer, Sänger mit der Umsetzung und
Vermittlung dieser Wahrnehmung beschäftigt ist, gelingen ihm subtile
Bewältigungen der Vergangenheit. Anderen niederländischen Autoren ist das zu
dieser Zeit noch nicht möglich. Ihre Wahrnehmung deutscher Zustände ist
traumatisch-pathologisch, ohne jede Relativierung der eigenen Position. Als
Beispiel habe ich als Berliner Ansichtskarte einen Text von Hellema abgedruckt,
der aus einer Veröffentlichung von 1982 stammt, aber auf eine Berlinreise von
1969 zurückgeht (siehe Ansichtskarte 1 im Anhang). Auch beim frühen Nooteboom
gibt es hilflosere Deutschlandtexte als die nach 1989 entstandenen.
Wer den Begriff des “Mnemopathen” erfunden hat, weiß ich
nicht. Ich begegnete ihm in der eindrucksvollen Dissertation von Nicolas Pethes
über Walter Benjamins “Mnemographie” (1999).[11] Pethes zitiert seinerseits den Schriftsteller Rainald
Goetz, der den Mnemopathen als Typus krankhafter deutscher
Vergangenheitsbewältigung in seinen
Texten auftreten läßt. Meine zweite “Ansichtskarte” im Anhang gibt Ihnen ein
Bild des deutschen Mnemopathen bei Goetz.
5. Erinnern im Vorübergehn: Mnemosyne en Lethe
"Das wahre Bild der Vergangenheit huscht vorbei. […] Es ist ein unwiederbringliches Bild der
Vergangenheit, das mit jeder Gegenwart zu verschwinden droht, die sich nicht
als in ihm gemeint erkannte.”
Walter Benjamin
Die Berliner Vergangenheit beginnt zu verschwinden,
jedenfalls soweit sie im Stadtbild, an ihren Häusern, Straßen, Plätzen
abzulesen war. Der neue Potsdamer Platz erglänzt in der Vielfalt postmoderner
Architekturen. Seine Tektur ist verändert. Er liest sich jetzt ganz anders, und
es hat wenig Sinn, darüber zu spekulieren, ob das nun richtig oder falsch ist.
Berliner Erinnerungsorte nehmen eine neue, oft überraschende, nicht für möglich
gehaltene Gestalt an, die neue Assoziationen hervorruft, zum Beispiel das
Reichstagsgebäude, das sich mir in seiner Schwärze und plumpgigantischen Häßlichkeit
immer als äußerst unangenehm präsentiert hat und nun durch den Neuausbau und
vor allem die Kuppel von Norman Foster eine verblüffende Transparenz und
Schönheit erhalten hat (siehe Ansichtskarte 4 im Anhang).
Es erhebt sich die Frage, ob wir vergessen können,
vergessen dürfen, vergessen müssen. Harald Weinrich hat dieser Frage ein
schönes Buch gewidmet, Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens. Er geht dabei
auf die antike Technik der Gedächtniskunst ein, die Methode, sich durch die
Imagination von Gedächtnisorten und Gedächtnisbildern Dinge zu merken, aber
auch, bei Bedarf, sich ihrer wieder zu entledigen: “Wenn nämlich die
Gedächtnisbilder … dem Geist gegenwärtig sind und das Gedächtnis vielleicht
länger besetzt halten, als dem Willen lieb ist, dann muß die gleiche Phantasie
(imaginatio), deren Wirken diese Bilder hervorgebracht hat, dazu aufgeboten
werden, sie wieder zum Verschwinden zu bringen. […] Ist etwa das Bild aus
Papier vorgestellt, so kann es zerknüllt, in Fetzen gerissen, ins Feuer oder
fließende Wasser (Lethe!) geworfen werden. Holz- oder Steinfiguren wirft man am
besten zum Fenster hinaus.”[12] Aber nein, so einfach ist das nicht. Weinrich zeigt am
Beispiel des Romans Auslöschung von
Thomas Bernhard, daß “Gedächtnis und Vergessen so ineinandergreifen, daß der
Erzähler […] gleichzeitig mit aller Schärfe des Gedächtnisses erinnern und
dennoch mit aller Kraft des Vergessens ‘auslöschen’ kann. Das geschieht durch
das Aufschreiben des Erinnerten in eben diesem Buch ‘Auslöschung’. Der Erzähler
schreibt auf, um auszulöschen. ‘Ich schreibe eine ungeheure Schrift’, sagt er
einmal von sich.”
Für die ungeheure Schrift Armandos gilt ein Gleiches:
“Mijn nieuwsgierigheid naar Berlijn is weg, bevredigd. Het boek is uit” sagt er
in einem Interview.[13]
Und: “Het is om praktische redenen dat ik nog steeds
niet uit Berlijn weg ben. Ik ben natuurlijk Berlijn dankbaar. Daar is mijn
zogenaamde internationale carrière begonnen. De stad heeft veel voor mij
betekend en veel voor mij gedaan, thematisch, ik heb er veel vrienden, ik heb
er eigenlijk veel warmte, maar juist om die reden wil ik weg. En om een andere
reden: de reden dat ik Berlin ‘gegessen’ heb, ik heb het thematisch niet meer
nodig.”[14]
Das Buch ist aus. Berlin ist gegessen. Der Mnemopath ist
geheilt.
6. Onder den Nooteboom: Schwarzer Balsam für die
deutsche Seele
Auf
der Straße steht ein Lindenbaum
Da
hab’ ich zum ersten Mal im Schlaf geruht!
Unter
dem Lindenbaum,
Der
hat seine Blüten über mich geschneit,
Da
wußt ich nicht, wie das Leben tut,
War
alles, alles wieder gut!
Alles!
Alles!
Lieb’
und Leid!
Und
Welt und Traum!
Gustav Mahler, 1884
Die Vergangenheit huscht
vorbei, sagt Benjamin. Versuchen wir, sie noch einen Augenblick zurückzuholen und
festzuhalten. Wenn Nooteboom und Armando uns die Stadt als Text vorlegen, so
ist ihr Verdienst – und dies ist ein Verdienst als Alternative zu den
Historikern im eingangs erwähnten Zitat von Roberto Calasso - , daß ihre Texte
uns die Stadt in einem einzigartigen und unwiederbringlichen historischen
Augenblick bewahren. Dies scheint mir eine Urtugend des Historikers: etwas zu
bewahren und das Bewahrte zu erschließen. Es ist nicht egal, welches Berlinbild
bewahrt wird. Das Berlinbild des traumatisch verletzten Niederländers Hellema
(siehe Ansichtskarte 1 im Anhang), das Berlinbild des deutschen Studenten
Jochen Schimmang aus demselben Jahr 1969 (siehe Ansichtskarte 3), das auch mein
damaliges Berlin war: auf sie kann ich heute verzichten. Nooteboom und Armando
bewahren dagegen ein bestimmtes, unverzichtbares Berlin als Geschichtszeichen[15]. Die Aphasie, das Unaussprechliche, umkreisen sie mit
tausend Sätzen. Diesen Augenblick möchte ich noch nicht loslassen. Ich möchte,
immer wieder, darauf zurückkommen.
Natürlich hat Nooteboom auch wieder ein Bild hierfür,
gleich am Anfang seines Romans, wo er seine poetologischen Marken setzt: “het
meest leek het geheel nog op een surrealistisch schilderij, dat hij ooit gezien
had, en waarvan hij de titel vergeten was. Een uit scherven bestaande vrouw was
bezig een oneindig hoge trap te beklimmen. Ze was nog niet ver, en de trap
verdween ergens in de wolken. Haar lichaam was niet heel, en toch was ze als
vrouw herkenbaar, al zaten de scherven waaruit ze bestond dan ook nergens aan
elkaar vast. Als je er goed naar keek was het eigenlijk behoorlijk
angstaanjagend. Nevelsluiers stroomden door haar lichaam op de plaats waar haar
ogen, haar borsten, haar schoot hadden moeten zitten, amorfe, nog onherkenbare
software drong naar binnen, die ooit, als het goed was, kon worden omgezet in
iets waar hij nu nog geen idee van had.” (18)
Nooteboom hat seinen Roman sorgfältig konstruiert und
die symbolisch aufgeladenen Denkbilder der Ambivalenz von Anfang an bewußt
placiert. Es lohnt sich, die inhaltlichen Aspekte der Assoziationen seines
Stadtläufers näher zu betrachten. Hier geht es abwechselnd um Erinnerungen an
Gespräche und Situationen mit Freunden, die inhaltlich wichtige Wegzeichen für
die Konstruktion des Romans setzen. In diesem Rahmen wird auch die Thematik der
Fremdwahrnehmung von Niederländern in Deutschland angesprochen: “’Wat moet je
toch in Duitsland?’ vroegen Nederlandse vrienden regelmatig. Het klonk dan
meestal alsof hij een ernstige ziekte had opgelopen. Hij had er een stereotiep
antwoord op bedacht, dat meestal afdoende was: ‘Ik ben er graag. Het is een
ernstig volk.’” (9) Das Thema kehrt ein paar Mal wieder, zum einen auf dem –
gottseidank ironisierten - Niveau der bekannten Vorurteile: “Moet je horen hoe
ze in die U-Bahn schreeuwen. Einsteigen bitte! ZURÜCKBLEIBEN!! Nou, we hebben
gezien wat er van al dat Gehorsam terechtkomt.” Zum anderen auf dem Niveau der
Reflexion deutscher Kulturzeichen aus Kunst und Literatur.
Ganz korrekt war ich bei der Schilderung des ersten
Tages von Arthur Daane im Roman Allerzielen
nicht. Er endet nämlich nicht am Potsdamer Platz, sondern in einer Kneipe.
Arthur Daane kehrt am Abend nach Hause zurück. “Maar deze avond was al een
nacht, gedempt, zonder verkeer, zwart en wit, stil en bewegend tegelijk. Noche
transfigurada, hij mompelde Schönbergs Spaanse titel als een toverspreuk.
Verklärte Nacht, maar transfigurada was veel mooier, alsof de orde der dingen
was omgeslagen, en van een grotere geheimzinnigheid geworden.” (77) Es folgt
die Wende zur romantischen Geselligkeit in Daanes Stammkneipe, der Weinstube in
der Wilmersdorfer Straße. Dort trifft er sich mit seinen Freunden: dem
Niederländer Victor, der Russin Zenobia und dem Deutschen Arno Tieck (!),
hinter dem sich der Berliner Germanist Rüdiger Safranski verbirgt, dem wir drei
großartige Denkbiografien von Schopenhauer, Heidegger und Nietzsche verdanken.
Die Weinstube, verborgen in einem häßlichen Neubaukomplex, erweist sich als
urgemütliches Refugium, als Nische im Stadtgetriebe. Man wähnt sich in einem
pfälzischen Dorfgasthaus. Es gibt erlesene Weine, und der Wirt serviert frische
Blut- und Leberwurst, Maultaschensuppe und tatsächlich auch Saumagen, das
Leibgericht unseres ungemütlichen Altbundeskanzlers.
Hier hält die Gruppe regelmäßig ihre philosphisch-besinnlichen
Abende, die einen Großteil des Romans in Beschlag nehmen. Hier wird, Nachbarn
zwischen Nähe und Distanz, über die Begegnung der Kulturen geplaudert, über
Bedenkliches und weniger Bedenkliches: “Duitsland en Rusland, op zulke ogenblikken
was het of die twee landen een voor een Atlantische Nederlander nauwelijks te
begrijpen heimwee naar elkaar hadden, alsof die onmetelijke vlakte die daar bij
Berlijn leek te beginnen een geheimzinnige zuigkracht uitoefende, waar vroeger
of later weer iets uit voort moest komen, iets wat nu nog niet aan de orde was
maar wat, ondanks alle schijn van het tegendeel, de Europese geschiedenis
nogmaals om zou kiepen, alsof die enorme landmassa zich zou kunnen omdraaien,
waarbij de westelijke periferie er als een deken af zou glijden.” (105)
Hier
findet der zwischen Deutschen und Niederländern so selten gewordene Dialog der
Identitäten statt. Für Nooteboom und Armando ist das Medium der Begegnung oft
die Kunst, insbesondere die Gemälde Casper David Friedrichs. So finden sich im
Roman Reflektionen über Mönch am Meer,
Abtei und den Chasseur im Walde, Bilder, mit denen Armando sich immer wieder
auseinandergesetzt hat. Für Nooteboom bleiben sie faszinierend aber fremd: “Het
smachten van Wilhelm Meister, Zarathoestra die huilend eindigt aan de hals van
een koetspaard, de schilderijen van Friedrich, de dubbele zelfmoord van Kleist,
het lood van Kiefer en de druidische bokkenzangen van Strauss, het leek
allemaal met elkaar te maken te hebben, een duister woelen waarbij voor mensen
uit een land van polders geen plaats was.” (53) Nooteboom sieht bei Friedrich
deutsche Kulturzeichen, die auf dem Wege nach Auschwitz stehen: “Ruïnes,
omgevallen grafstenen, … Ode, Finsternis, het jachtterrein van de Germaanse
ziel die nu dan eindelijk, aan het eind van deze waanzineeuw, uitgejaagd was.”
(55)
Nooteboom selbst versucht eine ganz eigene Annäherung
ans preussische Wesen. Victor zeigt Arthur Daane auf einer Kunstpostkarte, die
er bei sich trägt, das Bild der Luise von Preussen: das ist die mit
freundlichen Geschichten umwobene schöne preussische Königin, die 1806 nach dem
völligen Zusammenbruch Preussens in den Schlachten von Jena und Auerstedt nach
Königsberg reiste und mutig Napoleon entgegentrat und ihn anflehte, Berlin
nicht zu zerstören. Im Charlottenburger
Schloß schauen sie sich das Original an. Josef Grassi malte die 28jährige
Königin 1804 in der leichten, griechisch inspirierten korsettlosen Mode der
Zeit, die bei Arthur Daane sofort männlich-sexistische Entkleidungsphantasien
hervorruft. Solche Frauen gibt es heute nicht mehr, schwärmt Victor
melancholisch-nostalgisch. “Hij boog zich voorover, in de buurt van de
volmaakte ronding van de rechterborst. ‘Vraag van de beeldhouwer: waar denk je
dat de tepel zit?’ ‘Daar, ‘ zei Arthur, en wees. Onmiddellijk ging het alarm
af, een suppoost in blauw uniform kwam aanhollen en schreeude iets in
staccato-Duits dat hij niet verstond.” (49)
Auch wenn Arthur Daanes Busengrapscherei an der
preussischen Königin hier sofort mit Sirenengeheul und uniformierten Wächtern
abgestraft wird und wir es also wieder mit einem Ambivalenzdenkbild zu tun
haben, möchte ich diese Szene als eine Hommage an das arkadische Preussen
verstanden sehen, an das andere Preussen, das Preussen der elysischen Gärten
Sanssoucis, und eben an das andere Deutschland.
Nooteboom wäre nicht der Autor dieses Romans, wenn er
nicht auch die Idylle der romantischen Geselligkeit in der Weinstube
konterkarieren würde: ein alter Zigeuner mit dem Namen Galinsky war Stammgast
in der Weinstube. “Hij kwam elke avond laat (‘Ik slaap toch niet meer’), was
ooit in een Berlijn dat geen van hen had meegemaakt Stehgeiger geweest, primas
bij een zigeunerorkest dat in het Adlon speelde. Hij had alles overleefd.
Verder wisten ze niets van hem.” (107f.) Dieser alte stille Gast stirbt während
der fröhlich-weinseligen Runde aufrecht sitzend in der Ecke an seinem Tisch,
ohne daß es jemandem auffällt. Nur der Wirt sieht es, läßt ihn aber sitzen, bis
die anderen Gäste aufbrechen. So verläuft das Gespräch der unschuldigen
Flaneure in Anwesenheit des toten Zigeuners. Sie haben es nicht gewußt und erst
spät bemerkt.
Die deutsche Übersetzung des Romans Allerzielen wurde am 22. Februar 1999 im Renaissance-Theater an der
Knesebeckstraße in Berlin mit einer Lesung Cees Nootebooms vorgestellt. Wir –
meine Frau und ich - waren in der Woche in Berlin und haben nur mit etwas Glück
noch Karten bekommen können. Es gab schon seit Tagen eine Warteliste. Nooteboom
hatte ein Publikum von rund 500 Leuten, überwiegend relativ junge Deutsche, die
mit spürbarer Begeisterung zu dieser Dichterlesung gekommen waren. Diese
deutschen Leute haben ganz offenbar ein Bedürfnis nach der Lektüre der Stadt,
in der sie leben und nach einem, der ihnen zur Seite steht wie ein Schutzengel.
‘Onder de Nooteboom’ finden sie Trost in ihrer Nische, de “nis”, auch wenn,
genau wie unter Mahlers Lindenbaum, der sich Verbergende doch wieder dem
schmerzhaften Verborgenen begegnet. Sie kennen vielleicht Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen, die
einen Gefühlskomplex vermitteln, der - nicht nur von Niederländern – wohl als
sehr deutsch empfunden werden darf.
Am Tag nach der Lesung gingen wir abends durch den
Berliner Schnee in die Weinstube in der Knesebeckstraße, die wir noch aus
unserer Studentenzeit kannten. Beim wunderbaren Pfälzer Wein kamen wir ins
Gespräch mit dem Wirt und fragten ihn ob er der Herr Schultze aus Cees
Nootebooms Roman sei. Er war es und unterhielt sich freundlich mit uns über
einige Anekdoten aus dem Roman, bis er schließlich sagte: “Aber warum fragen
Sie nicht Nooteboom selbst. Er sitzt dort hinten.” Ich hatte bereits eine Weile
Stimmen und Gelächter vom anderen Ende der Stube gehört, und jetzt stellte sich
heraus, daß die Weinstuben-Runde aus Allerzielen,
erweitert um einige Redakteure des Suhrkamp-Verlags dort fröhlich beisammen
saß, das gerade erschienene Buch feierte und nun mißtrauisch uns als Fremde
beäugte. Wir haben dann schnell Nooteboom die Hand gedrückt, ihm zu seinem
schönen Roman gratuliert und sind gegangen. In dem Augenblick habe ich wohl
beschlossen, einmal etwas über dieses Buch zu schreiben.
Und ach ja, was die für mein Gefühl doch etwas
überzogene Symbolik dieses eigentlich sehr deutschen Romans von Nooteboom
betrifft. Eine Frage haben wir Herrn Schultze, dem Wirt, dessen richtigen Namen
ich nicht weiß, auch gestellt: ob denn die Geschichte mit dem toten Zigeuner
wahr sei. Sie ist wahr, versicherte uns Herr Schultze. Sie ist tatsächlich so passiert, und wir
hätten den ganzen Abend an dem Tisch gesessen, an dem er gestorben ist.
[1] Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, in: Gesammelte Schriften, Band I.2
Abhandlungen, Frankfurt am Main 1974, 697f.
[2] Cees Nooteboom, Allerzielen,
Amsterdam/Antwerpen 1998, 400.
[3] Nooteboom, Allerzielen,
31.
[4] Nooteboom, Allerzielen,
32-33.
[5] vgl. Gershom Scholem, Walter
Benjamin und sein Engel, Frankfurt am Main 1983 und Michael P. Steinberg, Walter Benjamin and the Demands of History,
Ithaca/London 1996
[6] Dieser Begriff eröffnet eine Analogie zu Ernst Jüngers
Waldgänger. Das in den Niederlanden weitgehend unbekannte Werk Jüngers ist
unseren beiden Autoren wohlvertraut. Zwischen seinem Abenteuerlichen Herz,
Walter Benjamins Einbahnstraße und den Berlintexten Armandos gibt es noch zu
entdeckende Korrespondenzen.
[7] Armando, Uit Berlijn.
Machthebbers. Krijgsgewoel, Amsterdam 1993, 7 en 8.
[8] De stukken zijn in drie boekpublicaties samengevat: Uit Berlijn (Amsyerdam 1982), Machthebbers (Amerdam 1983) en Krijgsgewoel (Amsterdam 1986)
[9] Zie Armando, Aantekeningen
over de vijand, Amsterdam 1981, 10 en De
straat en het struikgewas, Amsterdam 19xx, xx.
[10] Armando, ‘Ik noem het schuldig landschap’, in: Wam de Moor,
Dit is de plek. De betekenis van plaats
en emotie in het werk van schrijvers en schilders, Zutphen 1992, 13-27,
hier 27.
[11] Nicolas Pethes, Mnemographie.
Poetiken der Erinnerung und Destruktion nach Walter Benjamin, Tübingen 1999
[12] Harald Weinrich, Lethe.
Kunst und Kritik des Vergessens, München 1997, 255.
[13] Henk Niezink, ‘Armando en Berlijn’, in: Bzzlletin 173 (1990), 49.
[14] Armando, ‘Ik noem het schuldig landschap’, in: Wam de Moor, Dit is de plek. De betekenis van plaats en
emotie in het werk van schrijvers en schilders, Zutphen 1992, 15-27, hier
24f.
[15] Zum Begriff des Geschichtszeichens siehe Heinz Dieter
Kittsteiner (ed.), Geschichtszeichen,
Köln, Weimar, Wien 1999
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