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Samstag, 9. August 2014

Wilhelm Hausenstein (1) – Die Preußen haben das Reich nicht verstanden



Ich lese gerade die Tagebücher Wilhelm Hausensteins aus den Jahren 1948-1957: “Impressionen und Analysen. Letzte Aufzeichnungen” (München 1969).


Wilhelm Hausenstein, 1949
Darin finden sich so viele kluge Gedanken und Ansichten, dass ich eine kleine Reihe mit Zitaten und Reflexionen eröffnen möchte.


Hausenstein (1882-1957) ist mir seit langem bekannt. Meine erste Begegnung war das kleine Büchlein “Kannitverstan. Herbstliche Reise eines Melancholikers” (1924), das für mich immer noch das intensivste Hollandbegegnungsbuch eines Deutschen ist.


Die wichtigste Phase in Hausensteins Leben war sein Amt als erster deutscher Generalkonsul und dann Botschafter in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg (1950-1955). Diese Phase ist in der Edition dieses Tagebuchs ausgespart. Es gibt dazu eine eigene Veröffentlichung unter dem Titel “Pariser Erinnerungen”.


Das Tagebuch beginnt mit Einträgen aus dem Jahr 1948 und geht dann auf das Jahr 1955 über. Am 1. September 1955 schreibt er anlässlich seiner Lektüre von Fontanes “Stechlin”:


“Was für ein guter, liebenswerter Roman! Im Einzelnen fühlte ich meine alte These bestätigt, dass Preußen als Land und Berlin als Landeshauptstadt etwas Gutes gewesen sind, dass erst die “Reichs”-Prätension so Preußen wie Berlin zugrunde gerichtet hat (schon deshalb zugrunde richten musste, weil eine protestantische Reichs-Konstruktion – zumal mit so excentrisch gelegener Hauptstadt – in sich absurd ist, was Bismarck sich
natürlich überhaupt nicht vorzustellen vermochte, und da liegt eben die crux). Wilhelm der Erste ist bei Fontane durchaus König von Preußen: der “deutsche Kaiser” ist da eine existentielle Unwahrscheinlichkeit.
Der preußische Junker (Stechlin) ist ein Bild der Humanität und Urbanität. Dies alles ist vom großpreußischen Reich offenkundig zerstört worden. Zufällig sah ich an einem Bahnhof drei reproduzierte photographische Bildnisse Wilhelms des Zweiten: die Arroganz, die Impertinenz (die sich von einem fehlkonstruierten Reichsbegriff objektiv ableitet) ist in dieser Visage schon perfekt. Dass etwas so rasch geht, ist aber offenbar möglich: dergleichen kann sich von gestern auf heute, sprunghaft, ereignen.”


Wilhelm Hausenstein, Impressionen und Analysen, München 1969, 66f.


Wilhelm II.
Die Preußen haben das Reich nicht verstanden: 

Das ist ein kluger geschichtsanalytischer Ansatz!

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