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Montag, 4. August 2014

Lob der Serendipität (1) - Jean Qui Rit, Scharfe Geschichten



Auf der Suche nach einer bestimmten Geschichte von Joachim Ringelnatz im Gutenberg-Projekt tippte ich auf meinem iPad versehentlich auf den Namen, der darunter steht: Jean Qui Rit.


Jean Qui Rit? Nie gehört. Als einzige weitere Mitteilung steht dort, dass sein eigentlicher Name Armin Schwarz war, geboren 1845, gestorben 1922. Und das einzige Werk, das im Projekt vorhanden ist, trägt den Titel “Scharfe Geschichten” (1908).


Da hab’ ich dann mal reingeguckt und siehe da: Es handelt sich um ein verborgenes Kleinod der deutschsprachigen Literatur, das es fast nur in Privatdrucken gegeben hat und schamhaft zu den Erotika gepackt wurde. Es geht um zwölf wirklich nur leicht pornografische Märchen von bemerkenswerter Qualität. Hinzu kommen viele Illustrationen von Arthur Scheiner, die im Gutenberg-Projekt leider nur in Schwarz-Weiß wiedergegeben sind. Ihm widme ich noch einen eigenen Beitrag!


Die für mich originellste Geschichte ist gleichzeitig ein Dokument der deutsch-französischen Begegnungsgeschichte. Mein Thema! Darin kommt es zu einer erotischen Begegnung zwischen lebendig gewordenen deutschen und französischen Spielkarten: Der (deutsche) Eichelkönig trifft auf die (französische) Herzdame. Um die im Folgenden abgedruckte Geschichte richtig genießen zu können, sollte man bestimmte Unterschiede des deutschen und



französischen Kartenblatts vor Augen haben. Zunächst die Farben: Im deutschen Blatt sind das: Eichel, Grün, Herz und Schellen, im französischen: Kreuz, Pik, Herz und Karo.

In der Geschichte wird das österreichisch-ungarische  Spiel “Mariage” gespielt, auch “Schnapsen” genannt. Das heutige “Sechsundsechzig” ist eine Variante davon.


Zitat aus einer fachkundigen Website:


“Schnapsen wird mit einem Kartenspiel mit französischen oder deutschen Farben mit 20 Karten gespielt. […]

Französische Karten
Deutsche Karten
Punktwerte der Karten
As
Daus / Sau
11
Zehn
Zehn
10
König
König
4
Dame
Ober
3
Bube
Unter
2

Bei den deutschen Karten ist die höchste Karte genau genommen die Zwei (das Daus), obwohl sie häufig als As bezeichnet wird oder als Sau, weil es eine fette Karte ist, die viele Punkte einbringt. Man beachte auch, daß es wegen der Abwesenheit von Damen bei den deutschen Karten gleichgeschlechtliche Hochzeiten zwischen König und Ober gibt. Manchmal bezeichnet man sogar die Ober als Damen und die Unter als Buben.”


Alles klar? Hier ist die Geschichte. (Ich habe viele Illustrationen weglassen müssen. Die komplett illustrierte Version steht im Gutenberg-Projekt.)

Zum Weiterlesen hier klicken:


Spielkarten


I.


In einem wohlig erwärmten, von diskreten Wohlgerüchen erfüllten Boudoir, am Kaminfeuer, dessen lustig prasselnde Flammen die Makartfiguren des Paravents mit lebensvoller Farbe durchglühten, saßen zwei Damen und vertrieben sich die Zeit mit dem Mariage-Spiel. Dabei unterhielten sie sich über einen Ehescheidungsprozeß, der den »neuesten Skandal« bildete, und ihre Unterhaltung ward allmählich so lebhaft und so laut, daß sie nicht darauf achteten, wie auch die Kartenblätter in ihren anmutig geformten Händen in einem eifrigen Gespräch begriffen waren.

»Eine, rechte Qual für uns, dieses Spiel,« sagte der Herzunter. »Mein Herz bebt und glüht unter dem sanften Druck dieser schönen Finger. Und trotz meiner stolz aufgerichteten Lanze bin ich unfähig zu stechen ...«

»Es ist eine Schmach für uns deutsche Karten,« pflichtete das Herzas bei. »Mariage« nennen sie das Spiel und doch weiß jedes Kind, daß es in unserem Junggesellen-Staate keine einzige Dame gibt. Unsere Könige müssen sich in höchst gesetz- und naturwidriger Weise mit ihren Oberen verbinden! Der kleine Knabe mit dem goldenen Pfeil vergießt bittere Zähren zu meinen Füßen. Das Schauspiel kann aber auch wirklich niemandem gefallen, höchstens der Schellensau.«

»Da hast du recht,« meinte der alte Falstaff, das Eichelas. »Man hält uns für unsittlich, weil wir die Eichel im Wappen führen. Vielleicht nicht ganz mit Unrecht. Allein aus Rücksichten der Gesundheit kann ich es nicht dulden, daß mein Sohn, der Eichelkönig in unwürdiger Liaison mit seinen Untergebenen seine besten Kräfte vergeude. Noch heute sende ich ihn mit großem Gefolge nach Paris, der Hauptstadt der Franzosen, wo es die liebreizendsten Frauen der Welt geben soll. Dort soll er freien nach seinem Geschmack. Vielleicht entschließe ich mich gar, ihn zu begleiten, um ihm bei seiner Wahl hilfreich zur Seite zu stehen.«

Das Eichelas hielt sein Wort und die jungen Damen mußten sich ohne Eicheln behelfen. 


II.


In Paris stieg man natürlich im vornehmsten Hotel ab, wie es sich für so hohe Fürstlichkeiten geziemt. Die Hoteldienerschaft sorgte für angenehme Zerstreuung. Es gab eine Menge Spielkarten und darunter – was im sittenstrengen Deutschland ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre – auch mehrere Damen von bezauberndem Liebreiz. Mit Neugier blickten diese Damen etwas von oben herab und züchtig errötend auf die Eicheln. So unverhüllt zeigt man dergleichen nicht in Frankreich. Wenn man Eichel ausspielen wollte, so hieß es Treff! Doch alsbald gewöhnte man sich an den Anblick und es entwickelte sich ein ganz artiger Flirt. Besonders war es die Coeurdame, welche durch die stolze und zuversichtliche Haltung des Eichelkönigs gewonnen wurde.

Mit großer Freude sah Eichelas die Möglichkeit einer ehelichen Verbindung des Eichelkönigs mit der Coeurdame näher rücken und auch Herzas, das mit dem deutschen Vetter bereits Smollis getrunken, hatte keine Einwendung gegen solche Verwandtschaft.

Und so ward eines schönen Morgens mit großem Pompe das Hochzeitsfest gefeiert, an dem sich sämtliche Kartenspiele des Hotels beteiligten. Es war herrlich schön! Sechs deutsche Laubober eröffneten den Hochzeitszug mit Trommelwirbel, die Laubunter bliesen die Flöten; es waren sogar einige Eichelober da, die anstatt das Schwert zu schwingen, Trompete bliesen. Dazu kam noch das harmonische Grunzen der Schellensau und das Gekläff des Schweinehundes auf ihrem Rücken. Alldas gestaltete sich zu einem Hochzeitsmarsche, wie kein Mendelssohn und kein Richard Wagner jemals einen prächtigeren und harmonischeren ersonnen hat.


III.


Die Neuvermählten waren endlich allein. Ein schneeig weißes Hochzeitslager war bereitet, das duftete nach Rosen und Myrten. Von heißer Liebessehnsucht erfüllt, entkleidete der königliche Bräutigam mit hastigen Händen die bebende Braut, wobei er seine glühenden Lippen in die schwellende Pracht des Busens versenkte. Doch damit gab er sich nicht zufrieden. Um seine neuen ehelichen Rechte und Pflichten auszuüben, suchte er auch die anderen Reize der ihm angetrauten Gemahlin; und o weh! welche seltsame Entdeckung mußte der junge Ehemann da machen! Anstatt kräftiger Hüften und Schenkel fand er unter dem Rocke seiner jungen Frau eine Wiederholung des üppigen Busens und der plastischen Schultern! Von der Taille abwärts setzte sich die Coeurdame gleichsam im eigenen Spiegelbilde fort. Das anmutige Lockenhaupt, das oben aus den prächtigen Konturen der Nackenlinie hervorblühte, wiegte sich nach unten, allerdings tiefer errötend, auf einem Schwanenhalse. Anstatt rundlicher Waden, bedeckt mit dem Seidenflaum reifer Pfirsiche, anstatt zierlicher Knöchel und Füße abermals schneeige Arme, ein zartes Handgelenk und kokett ausgespreizte Finger.

Die Enttäuschung des Eichelkönigs war unbeschreiblich! Trostlos ließ er sein Szepter sinken.

Er machte seinem Herzen Luft und seiner Herzdame einen tüchtigen Randal. Und als sie sein Französisch nicht verstand, redete er deutsch mit ihr und da verstand sie ihn sogleich.

Die Coeurdame brach in Tränen aus, schlug oben und unten die Hände über dem Kopfe zusammen und sagte naiv, mit von Schluchzen erstickter Stimme:

»Was wollen Sie, Sire? Bei uns in Frankreich nimmt kein Mann es übel, das unter dem Rock zu finden!«

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