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Montag, 25. August 2014

Deutschland, eine Krimireise


Das Stichwort “Krimi”  hat mich an einen Vortrag erinnert, den ich vor sechs Jahren gehalten habe: “Deutschland, eine Krimireise”. Ich hatte ihn als eine Rundfahrt durch Deutschland gestaltet, gegen den Uhrzeigersinn durch die Grenzregionen: angefangen in Ostfriesland, dann im Westen bis Bayern hinunter und schließlich im Osten wieder hinauf bis Schleswig-Holstein. Eine Deutschlandreise in 30 Regionalkrimis. 


Die Liste findet sich am Ende des Vortrags; sie ist natürlich jetzt im Jahre 2014 nicht mehr ganz up to date, aber das macht eigentlich nichts. Der Vortrag ist nur am Anfang ganz ausgearbeitet. Die zweite Hälfte habe ich mehr stichwortartig gehalten, da ich lieber frei spreche. 

Wer sich für den Vortrag interessiert, bitte hier klicken:

Deutschland, eine Krimireise
Landeskunde mit Kriminalromanen



Im traurigen Monat November war‘s
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riss von den Bäumen das Laub,
Da reist‘ ich nach Deutschland hinüber…
(Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen)



Das Meer lag in der Luft, als ich nach Leer kam.
Die Stadt troff vor Nässe, die Laternen
in ihren Gassen hatten Höfe wie der Mond
in einer dampfenden Nacht,
das Meer musste ganz nah sein…
(Wolfgang Büscher, Deutschland, eine Reise)



1          Startpunkt: Kampf gegen Windmühlenflügel



Liebe Alumani, Studenten und Kollegen, liebe Gäste, meine Damen und Herren,



herzlich willkommen zu unserem Kriminachmittag. Wir werden heute zusammen eine virtuelle Deutschlandreise machen, relativ dicht an den Grenzen entlang, mit einigen grenzüberschreitenden Ausflügen in die Niederlande, nach Frankreich, Österreich, in die Schweiz und nach Polen. Wenn Sie das Motto sehen, werden Sie denken: oh, der legt die Latte ja ganz schön hoch. Heinrich Heines Deutschland. Ein Wintermärchen aus dem Jahre 1844 ist einer der bekanntesten Texte aus der deutschen Literatur. Heine kehrt im November 1843 aus seinem freiwilligen Exil in Paris zurück und gibt an den Stationen dieser Reise entlang seine kritisch-satirisch-humoristischen Kommentare zur politisch-gesellschaftlichen Situation in Deutschland.



Aber es ist noch nicht November und ich bin nicht Heinrich Heine. Ich will mich auch nicht an ihm messen, sondern ich möchte, dass eine unterschätzte Gattung, der neue deutsche Kriminalroman, stärker ins Blickfeld der Kulturwissenschaft und auch des Literatur- und Landeskundeunterrichts in der Oberstufe der Schulen und im Hochschulbereich gerückt wird. Und dies nicht so sehr auf Grund literarischer Kriterien, sondern wegen seiner inhaltlichen Qualitäten als Spiegel der deutschen Gegenwart und Vergangenheit und wegen seiner gesellschaftlichen Funktion. Ich habe vor zehn Jahren einmal als Leitthese für den Landeskundeunterricht formuliert: Landeskunde muss auf der Höhe ihrer Zeit sein. Das klingt so einfach und beinahe banal, ist aber in der Praxis selten der Fall. Heute liefere ich eine konkrete Exemplifikation hierzu: Meine These ist, und damit stehe ich nicht alleine, dass der Krimi - und zwar sowohl in gedruckter Form wie in den überaus zahlreichen Fernsehkrimis -  in der deutschen Öffentlichkeit ein wichtiges Podium für aktuelle politisch-gesellschaftliche Themen und ihre kritische Aufarbeitung sowie für die Erinnerung und Verarbeitung der diversen dunklen deutschen Vergangenheiten geworden ist. Und aus diesem Grunde ist er ganz ausgezeichnet für einen modernen Landeskundeunterricht geeignet.



Ich gebe zunächst einige Beispiele, die Sie in Ihrem Handout verfolgen können und gehe dabei auf inhaltliche und am Ende auch auf didaktische Aspekte ein. Wir beginnen die Reise an der niederländisch-deutschen Grenze, in Ostfriesland, in der kleinen Stadt Leer. Hierfür steht das zweite Motto aus Wolfgang Büschers Deutschland, eine Reise. Auch dieser Titel lehnt sich deutlich an Heine an. Büscher hat eines der schönsten und intensivsten deutschen Reisebücher der letzten Jahrzehnte geschrieben: eine Rundreise durch Deutschland, im Uhrzeigersinn immer an den Grenzen entlang. Von diesem Buch habe ich die Idee zu meinem Projekt abgeleitet.



Der erste Krimi, Ebbe und Blut von Peter Gerdes, spielt also in Leer und in Ostfriesland. Im Untertitel nennt er sich auch ganz bewusst „Ostfrieslandkrimi“. Der Startpunkt in Leer hat für mich eine sinnfällige und emotionale Bedeutung: Leer ist meine Geburtsstadt, dort bin ich aufgewachsen, dort steht meine Schule, das Ubbo-Emmius-Gymnasium, das in dem Roman vorkommt; nach Leer und in seine Altstadt kehre ich von Zeit zu Zeit zurück, trinke den rituellen ostfriesischen Tee mit Kluntjes, esse etwas Deftiges im Restaurant Taraxacum, stehe am inzwischen modern umbauten Hafen. Ich laufe an der Ems entlang, fahre Richtung Emden an den Dollart: dies alles sind auch Schauplätze dieses Romans. Viele nostalgische Leeraner werden sich dieses Buch kaufen, aber auch viele Touristen, die inzwischen zahlreich nach Ostfriesland kommen.

Und was mich heute an meiner ostfriesischen Heimat so ärgert, nämlich die immer weiter zunehmende Verschandelung der Landschaft durch hunderte von Windmühlen, die, vom Staat subventioniert, der alternativen Energiegewinnung dienen, spielt auch eine Hauptrolle in Ebbe und Blut. Gleich zu Anfang sabotiert eine Gruppe militanter Windmühlengegner ein solches Monstrum mit einem hinaufgeschossenen Stahlanker. Daraufhin bricht eines der drei Rotorblätter ab und bohrt sich federnd in die Erde. Die Täter sind tief erschrocken über diesen Erfolg. Der Roman lebt von der sich daran anschließenden erregten Auseinandersetzung und Verfilzung zwischen Bürgerprotest, regionaler Politik und Wirtschaft. Die Nähe zum Meer und die Freizeitschifffahrt spielen auch eine Rolle und natürlich geschieht auch ein Mord. Der Kampf gegen die Windmühlenflügel ist ein starkes literarisches Motiv, mit dem der Autor vielleicht noch mehr hätte tun können (Denken Sie an Don Quichotte!). Immerhin gibt am Ende ein behinderter Rollstuhlfahrer die entscheidenden Tipps zur Aufklärung des Mordes.

Ostfrieslandkrimis gab es in den sechziger, siebziger, achtziger Jahren noch nicht, als ich mir meine deutschen Bücher in Leer aus der damaligen Buchhandlung Taraxacum holte, und schon gar keine Inselkrimis, wie es sie heute die Wattenseeküste von Borkum bis Sylt rauf und runter zuhauf gibt. Allenfalls Hansjörg Martins Und einer fehlt beim Kurkonzert von 1966, das auf Norderney spielt, ist ein früher, allerdings nicht besonders spannender Vorläufer des Regionalkrimis.



2          Rundreise: Gegen den Uhrzeigersinn



Der deutsche Regionalkrimi ist ein Phänomen, das in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren seinen Anfang nahm. Seit etwa zwanzig Jahren gibt es diese inzwischen auf hunderte und aberhunderte Krimis angewachsene regionale Welle, die das Territorium der alten Bundesrepublik und übrigens auch Österreichs nahezu vollständig überflutet hat. In den aus der DDR hervorgegangenen neuen Bundesländern gibt es nicht viel dergleichen und was es gibt, stammt zudem noch oft von westdeutschen Autoren. Und dies nicht etwa, weil es in der DDR mit ihrer gelenkten Kulturpolitik keinen Raum für  Krimis gegeben hätte. Den gab es, und immerhin einen Original-DDR-Krimi habe ich in meine Reise aufgenommen. Dazu später mehr.



Zunächst zu unserem Reiseplan. Wie Sie sehen, geht es gegen den Uhrzeigersinn ziemlich nah an den Grenzen der Bundesrepublik entlang nach Süden über den Niederrhein ins Ruhrgebiet und in die Eifel. Frankfurt darf nicht fehlen, dann das Saarland mit Ausflügen ins französische Elsass und dann geht‘s bis hinunter ins Allgäu und nach einem Abstecher nach Österreich zurück nach Norden über Bayern in die neuen Bundesländer hinein, mit ausführlichem Aufenthalt in Berlin und über die heutige polnische Grenze nach Breslau, dann Mecklenburg, Hamburg, Schleswig-Holstein. Der Endpunkt ist Stade in Niedersachsen.



30 Krimis aus 20 Jahren habe ich ausgesucht. Die Kriterien habe ich einleitend genannt. Rein psychologische Krimis gehören nicht dazu. Und es geht nicht in erster Linie um literarische Qualität oder den Spannungsgehalt. Ebbe und Blut ist in dieser Beziehung auch nicht so überzeugend: ich habe ihm nur zwei Sternchen gegeben auf einer Skala von fünf. Aber unter den 30 sind auch viele hochklassige Beispiele. 30 Städte oder Regionen, 30 mal regionale Besonderheiten und/oder aktuelle gesellschaftliche Themen und deutsche Vergangenheiten. Und nicht 30, sondern viel mehr Morde, denn die meisten Romane begnügen sich nicht mit nur einer Gewalttat.

Rein historische Krimis ohne Anbindung an die Gegenwart habe ich auch nicht aufgenommen. Es gibt sie zuhauf: Preußenkrimis, Hansekrimis, Mittelalterkrimis, Krimis, die in der Weimarer Republik spielen.

Zur rein praktischen Seite für Sie als potentielle Leser: nicht jeder dieser 30 Romane wird im Buchhandel direkt lieferbar sein, aber die Hälfte kommt aus den letzten drei Jahren. Ältere Titel sind aber beinahe immer für wenig Geld im Internetantiquariat aufzutreiben. Und ich nenne auch immer einige alternative Titel, die als Ersatz für einen regionalen oder thematischen Aspekt dienen können.



3          Ein Krimireiseführer



Ich werde im folgenden nicht 30 Bücher besprechen, sondern eine Reihe interessanter thematischer Aspekte auswählen und anhand einzelner Krimis erläutern. Dabei spare ich heute eine Reihe der besseren Romane aus, die mit deutscher Geschichte zu tun haben: die werden im Vortrag von Elfriede Müller besprochen.

Wir bleiben beim Thema Regionalkrimi. Unsere zweite Station ist der Niederrhein. Der Roman Die Schanz des Autorentrios Hiltrud Leenders, Michael Bay und Artur Leenders spielt im Jahr der katastrophalen Überflutung von 2002, die auch die benachbarte niederländische Provinz Gelderland in grosse Not gebracht hat. Die Autoren zitieren bildungsbewusst am Anfang aus Goethes Gedicht Johanna Sebus, das von der Flut am Niederrhein im Jahr 1809 handelt: „Der Damm zerreisst, das Feld erbraust, die Fluten spülen, die Fläche saust.“



Das winzige Dörfchen Schenkenschanz wird 2002 durch  das Hochwasser komplett von der Aussenwelt abgeschlossen. Und in dem Dorf befindet sich ein Mörder. Ein Bauer hatte auf seinem Feld einen menschlichen Fuss mit Schuh gefunden, der schliesslich als der Fuss eines ehemaligen niederländischen Oberst des Dutchbat von Srebrenica identifiziert wird, der sich auf der deutschen Seite des Niederrheins niedergelassen hatte. Mehr kann ich natürlich nicht verraten. Dieser Krimi steht in einer Reihe von inzwischen mehr als zehn Romanen – der erste erschien 1992 -, die alle im dörflich-kleinstädtischen Milieu spielen und in denen das Kommissariat K11 aus Kleve verzwickte Fälle zu lösen hat. Die Autoren, die inzwischen als Trio Criminale bezeichnet werden, haben einen Kultstatus erworben, der weit über die Region hinausreicht. Das äussert sich auch in auf den ersten Blick kuriosen Begleiterscheinungen, die von der existentiellen Durchdringung des Phänomens beim Lesepublikum zeugen: Im Jahr 2000 gaben die Autoren unter dem Titel „Mörderischer Niederrhein“ einen Radwanderführer heraus, der immerhin zwei Auflagen erlebt hat. Ich zitiere aus der Verlagswerbung:



Dies ist mehr als ein Radwanderführer. Durch Anekdoten rund um die Recherche zu den sieben Krimis und Geschichten von den zahlreichen Lesungen sowie humorigen Fotos der drei ist dieser Band ein Muss für alle Fans der Krimiautoren. Der Mercator-Verlag, so die "Rheinische Post" kurz nach Erscheinen Ende Mai 2000, hat damit als Vorreiter der deutschen Verlagsszene zum ersten Mal sportliche, touristische und kriminale Ziele miteinander vereint.



Und um noch eins draufzugeben erschien 2007 das Buch „Ackermann kocht: Mörderische Rezepte vom Trio Criminale“, ein Kochbuch mit den Lieblingsrezepten des Kommissariats K11 aus Kleve.



4          Geschmackssache: Dinnerkrimis



Diesem Aspekt, die Verbindung von Krimihandlung mit zum Teil ausführlichen Beschreibungen vom Zubereiten und Verspeisen von teils einfachen, teils höchst kulinarischen Gerichten, begegnen wir in mehreren Romanen unserer Krimireise, zum Beispiel in Ella Danz „Steilufer“ (Nr. 27), in dem ein Restaurant am Ostseestrand eine Rolle spielt. Dort werden die Gerichte, die im Roman vorkommen, in einem Anhang mit sage und schreibe 15 Rezepten zum Nachkochen vorgestellt. Oder in dem Roman „Freudsche Verbrechen“ von Eva Rossmann (Nr. 17), in dem die Wiener Journalistin Mira Valensky detailliert beschriebene hoch exquisite Gerichte zubereitet, die der Leser mit dem Buch vor der Nase in der Küche nachvollziehen kann. Dient dies im Kontext der Romane zur Charakterisierung der Lebenswelt der Ermittler und Ermittlerinnen und gleichzeitig als retardierendes und gleichwohl unterhaltendes Element im Verlauf der Ermittlungen, so sagt dies natürlich auch etwas über das Lesepublikum dieser Romane aus, das sich offenbar mit solchen kulinarischen Einlagen gut unterhalten fühlt.

Es gibt sogar Romane und ganze Buchreihen, in denen sich dieser Aspekt sozusagen verselbständigt, zum Beispiel die Krimis von Carsten Sebastian Henn, die mit ihren Titeln „In vino veritas“, „Vinum Mysterium“ und „In dubio pro vino“ deutlich machen, worum es geht. Beigefügt sind seinen Eifel-Krimis, wie er sie im Untertitel nennt, touristische Karten des Ahrtals mit Standorten von Weingütern und guten Restaurants. Im Anhang werden die besten Cafés des Ahrtals vorgestellt und natürlich auch ein paar Rezepte, zum Beispiel für Ahr-Spätburgunderkuchen. Und natürlich hat Carsten Henn auch „Henns Weinführer Ahr“ herausgegeben mit Informationen zu Geschichte, Lagen, Weinen und Reisetipps.

Aus pädagogischen, didaktischen und sogar juristischen Gründen erscheint mir diese Variante der Regionalkrimis nicht geeignet für den Schulgebrauch. Für den akademischen Gebrauch könnte man ja mal drüber nachdenken. Allerdings sind diese Romane auch unter literarischen Kriterien sehr mässig und ich habe deshalb keinen in meine Liste aufgenommen.

Und auch hier gibt es noch eine Steigerung bei dem Teil des deutschen Publikums, der sich nicht mit Romanen und Fernsehkrimis begnügen will: man will selbst teilhaben am kriminellen Geschehen, aber auf bequeme und genüssliche Manier. Das Krimi-Dinner-Event, bei dem man selber Teil einer Krimihandlung wird, feiert Konjunktur in deutschen Restaurants, und natürlich möglichst in historisch-romantisch-gruseliger Umgebung wie Burgen und Schlössern. Sie können auf der Website Krimi a la carte eine Auswahl der Möglichkeiten sehen:



Dinnerkrimis: www.krimi-a-la-carte.de (Krimi und Dinner anklicken)



Der Krimi als gespielte dramatische Handlung: das bringt uns schon eher zurück in die Welt der Didaktik, der Schule und des lebensnahen Lernens. Ich komme noch darauf zurück.



5          Krimitourismus: Eifelkrimis



Wir bleiben noch kurz in der Eifel. Einer der ersten Autoren und in jedem Fall der erfolgreichste, der sich mit höchster Intensität ein und derselben Region zugewandt hat, ist Jacques Berndorf. Dieser ehemalige Journalist, der selber in der Eifel lebt, hat seit 1989 circa 20 Eifelkrimis veröffentlicht, die in einer Gesamtauflage von etwa 2,5 Millionen Exemplaren erschienen sind. Er ist der unbestrittene Eifelkrimi-Guru. Der Ermittler in all diesen Krimis ist der Journalist Siggi Baumeister, das Alter Ego von Jacques Berndorf.

Seinen Erstling mit dem Titel „Eifel-Blues“ aus dem Jahre 1989 finden Sie in der Liste unter Nr. 7. Dies ist ein Krimi aus der Endphase des Kalten Krieges. Im hochgerüsteten Westdeutschland befinden sich hunderte militärischer Depots der Bundeswehr und der Alliierten. Unter den Hügeln der Eifel liegt die geheime Kommandozentrale der Bonner Bundesregierung für Kriegszeiten. In dieser Umgebung spielt Eifel-Blues, der auf amazon.de mit folgendem Text angepriesen wird:



Der berühmte erste Baumeister-Krimi! Drei Tote neben einem scharf bewachten Bundeswehrdepot: Verkehrsunfall? Spionageaffäre? Eifersuchtstragödie? 'Eine Eifel, völlig in der Hand der Bundeswehr, angesiedelt um Giftgasdepots, abhängig von betrunkenen Soldaten, überwacht von MAD-Schurken. Dazwischen nun der Journalist Baumeister, der eigentlich nur seine Ferien im ehemaligen Bauernhaus genießen will.' 'Ein Buch voller Wut' 'Ein Krimi von der echten Art, und das mit jeder Menge Eifelkolorit.'



MAD bedeutet Militärischer Abschirmdienst. Teile der Handlung spielen auch im Verteidigungsministerium in Bonn. Auch in späteren Krimis von Berndorf spielen die Geheimdienste, BND, CIA, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Nato eine Rolle (z.B. Eifel-Feuer, 1997). Berndorf arbeitet eine ganze Reihe von Themen ab: Drogenhandel (Eifel-Schnee, 1996), Giftmüllskandale (Eifel-Müll, 2000), Korruption (Eifel-Filz, 1995) und Rechtsradikalismus (ausserhalb der Eifel-Reihe, thematisch im Zusammenhang mit der Barschel-Affäre von 1987: Eine Reise nach Genf, 1993, unter Nr. 7)



Berndorf beschreibt die Schauplätze seiner Romane akribisch genau. Hier steht jeder Baum in der Eifel dort, wo er auch wirklich steht. Wenn nicht, dann bekommt er Post von noch akribischeren Lesern. Der Erfolg seiner Eifel-Krimis hat die lokale Touristik-Szene dazu veranlasst, Karten und rekreative Zielpunkte für einen Eifelkrimi-Wanderweg herauszugeben.






Steigerung:  www.tourismuskrimi.de



Sie mögen dies komisch oder absurd finden, aber dieser Trend hat neben seinen profitorientierten und sich selbst feiernden Formen auch sehr innovative, völkerverbindende Varianten: eine solche Form der qualitativen Steigerung erleben wir heute in unserem letzten Programmpunkt mit dem gemeinsamen Krimi des deutschen Autors Thomas Hoeps und seines niederländischen Kollegen Jac. Toes. Vielleicht ist es Ihnen schon mal aufgefallen: wer im Internet Landkarten sucht (oder auch in gedruckter Form und in Atlanten), die grenzüberschreitend die Regionen zwischen zwei Ländern zeigen, findet das einfach nicht. Die Darstellungsweisen von Geographie und Geschichte sind noch überaus stark der nationalen Ideologie des 19./20. Jahrhunderts verpflichtet. Die EU hat mit ihrer Politik der Euregios in den europäischen Grenzbereichen hier wohl deutliche Zeichen gesetzt, die aber bei der breiten Bevölkerung noch nicht so richtig wahrgenommen werden. Dennoch häufen sich die Beispiele von grenzüberschreitenden Aktivitäten, Projekten, Begegnungen auch im sich selbst organisierenden kulturellen Bereich. Und das ist nun auch beim Regionalkrimi angekommen. Was wir heute am Ende des Nachmittags erleben dürfen, ist eine historisch einzigartige literarisch-kulturelle Koproduktion, der Roman Nach allen Regeln der Kunst bzw. in seiner niederländischen Ausgabe Kunst zonder genade.

Er spielt am Niederrhein beiderseits der deutsch-niederländischen Grenze: Museum Abteiberg, Mönchengladbach; Museum voor Moderne Kunst, Arnhem; Lehmbruck Museum, Duisburg; Museum van Bommel van Dam, Venlo; Museum Het Valkhof, Nijmegen, Museum Kurhaus, Kleve; Museum Schloss Moyland; Haus Lange, Krefeld

Rolf Patati, Kunstrestaurateur und Kommissarin Micky Spijker



Crossart – Route Moderne Kunst: 10 Museen am Niederrhein/Nederland



Für diesen Trend gibt es noch eine Reihe weiterer Beispiele.



6          Grenzüberschreitende Krimis



Deutschland-Frankreich: Wolfgang Brenner, Bollinger und die Friseuse (Nr.8)

Deutschland-Schweiz: Jacques Berndorf, Die Reise nach Genf  (Nr.7)

Deutschland-Österreich: Eva Rossmann, Freudsche Verbrechen (Nr. 17)

Deutschland-Österreich: Thomas Glavinic, Der Kameramörder (Nr. 16)

Deutschland-Polen: Marek Krajewski, Festung Breslau (Nr. 21)



7          Funktionswandel der Zeit:

Gegenwart der Geschichte, Geschichte der Gegenwart



Bernhard Schlink und Walter Popp, Selbs Justiz (Nr. 9)

Wolfgang Schorlau, Die blaue Liste (Nr. 11)

Robert Gross, Grafeneck (Nr. 12)

Christian von Ditfurth, Mann ohne Makel (Nr. 28)

Horst Eckert, Purpurland (Nr. 4)



Historischer Science-Fiction-Krimi: Rolf Hülsebusch, Nekropolis Cologne (Nr. 5):

Als 1945 die amerikanischen Streitkräfte Köln verwalten, wird vom Stadtkommandanten Colonel Patterson und dem Bürgermeister Konrad Adenauer beschlossen, die zerbombten zwei Quadratkilometer der Kölner Innenstadt als Mahnmal des Krieges unrestauriert zu lassen. Mit der Zeit entwickelt sich diese Nekropolis Cologne zu einem düsteren Disneyland.
Ein ungewöhnlicher Roman, der eine deutsche Parallelwelt aufbaut, wie sie auch hätte gewesen sein können.



8          Verwischte Grenzen: literarische Krimis



Natürlich sind die high culture Autoren auch in früheren Zeiten schon durch einzelne Krimis aufgefallen. Friedrich Dürrenmatt, Der Richter und sein Henker (1952) und Der Verdacht (1953) sind wohlbekannte Beispiele im Lesekanon der Niederlande. Aber auffällig ist in den letzten Jahren die Häufung von jüngeren Autoren aus der ersten Reihe, die den Krimi als Grundmuster für ihre neuen Romane nehmen:

Juli Zeh, Schilf (2007),

Thomas Hettche, Der Fall Arbogast (2001),

Judith Kuckart, Die Verdächtige (2008),

Thomas Glavinic, Der Kameramörder (2002) (Nr. 16)



9          Die Verschmelzung von Heimat- und Gesellschaftsroman



In der Sekundärliteratur und in Interviews mit Autoren und Kritikern wird bei der Analyse des Phänomens des Regionalkrimis häufig darauf verwiesen, dass es seit Ende der 80er Jahre um eine neue Phase des Krimis geht, in der sich triviale Formen des Heimatromans mit bildungsbürgerlichen Formen des Gesellschaftsromans vermischen. Diese Feststellungen – deren Grundtendenz ich übrigens bestätigen möchte - werden meistens nur ansatzweise unterbaut. Ich kann hier nur mit ein paar Stichworten andeuten, in welche Richtung eine tiefergehende Analyse gehen müsste:



Die inhaltliche Ausrichtung der Krimis in den letzten Jahrzehnten entspricht – und das ist auch ganz logisch – den herrschenden Trends im selbstreflexiven Diskurs der deutschen Gesellschaft der jeweiligen Zeit: das sind Paradigmen, die den öffentlichen Diskurs betreffen: sowohl in den Feuilletons der Zeitungen und Zeitschriften als auch in den Geisteswissenschaften:



60/70er Jahre: Gesellschaft              Soziokrimi

80/90er Jahre: Identität                      Regionalkrimi (neuer nationaler Heimatdiskurs)

90/00er Jahre: Globalisierung            Regionalkrimi (historisch reflektierender und grenzüberschreitender Heimatdiskurs)



Verschmelzung eines Genres der Populärkultur mit der Bildungsbürgerliteratur: Intellektualiserung der Populärkultur und Trivialisierung der Hochkultur



Regionalkrimi: Symptom einer dritten Heimatbewegung:

-       Romantik

-       Kaiserreich

-       Berliner Republik



Ausnahme: neue Bundesländer





10        Funktionswandel des Ortes: Berlinkrimis (22-25)



Jan Eik, Der siebente Winter (1989) ***



Berlin/DDR, Kombinatsleiter Siegfried Korn und Major Peter Fiebig, Diebstahl im Industriekombinat



Dagmar Scharsich, Die gefrorene Charlotte (1993)            *****



Ostberlin, August bis November 1989, Stasi

Berlin Mitte



Pieke Biermann, Herzrasen (1993)   *****



Berlin/Scheunenviertel 1992



Anne Chaplet, Nichts als die Wahrheit (2000)          ***



Berlin/Rhön.Bundestagsabgeordnete und Biobäurin Anne

Berlin, Berlin Untergrund



Cora Stephan, Ganz entspannt im Supermarkt. Liebe und Leben im ausgehenden 20. Jahrhundert (1985)



11        Funktionswandel der ErmittlerInnen: der Ermittler als Täter



Bernhard Schlink, Selbs Mord (Nr. 9)



12        Didaktik des Krimis

Hier nur kurze Andeutungen. Am Dag van Taal en Cultuur (30. Januar 2009) didaktische Modelle für die Arbeit mit Krimi im Landeskunde- und Literaturunterricht. Und dies unter Einbeziehung von Jugendkrimis, Hörspielen und Hörbüchern



Klassenprojekt Deutschland, eine Krimireise



Krimis rund um ein Thema: Terrorismus, Umweltschutz, Nazi-Vergangenheit, DDR-Vergangenheit, eine bestimmte Region/Stadt mit ihren landschaftlichen/thematischen Besonderheiten (evtl. mit Exkursion)



13        Krimi-Informationen










14        Auf der Krimi-Couch: Nicht Vormärz, sondern Biedermeier?



Manche von Ihnen werden bei den Passagen meines Vortrags über Kochkünste im Krimi gedacht haben: na, dies hat aber wirklich nichts mehr mit Heinrich Heine und seinem Wintermärchen zu tun. Dies riecht vielmehr nach deutschem Biedermeier: der deutsche Michel räkelt sich genüsslich auf seiner Couch und liest mit leichtem Schaudern vom Bösen in der Welt. Für einen Teil der Krimis und für sehr viele Regionalkrimis trifft das auch zu. Aber in ihren besseren Produkten erfüllt die deutsche Krimi-Welt sehr wohl eine kritische Vormärz-Funktion. Sie haben von mir einige Beispiele gehört und werden von Elfriede Müller noch einige echte Perlen präsentiert bekommen.

Und Heines Humor, Heines Ironie? Damit steht es hier in der Tat nicht zum besten. Nur zwei meiner Beispiele sind in einem durchgehend ironischen Stil geschrieben: Carlo Schäfer, Im falschen Licht (2002, Nr. 10) und Max Bronski, München Blues (2007, Nr. 15). Und ein Beispiel für sehr biedermeierliche Humorvorstellungen bieten Volker Klüpfel und Michael Kobr, zum Beispiel in Seegrund (2006, Nr. 14). Die Romane dieses Autorenduos sind denn auch Publikumslieblinge und erreichen regelmässig die Spiegel-Bestsellerliste. Aber ihr Publikum ist ein anderes als die Leser der kritischen Krimis von Bernhard Schlink, Uta-Maria Heim, Wolfgang Schorlau und Christian von Ditfurth. Und in Sachen Humor dürfen wir auch noch gespannt sein auf Thomas Hoeps und Jac. Toes.







Deutschland, eine Krimireise: Auswahlliste

(Peter Groenewold, Rijksuniversiteit Groningen)



1 Peter Gerdes, Ebbe und Blut (2006)              **

Leer/Ostfriesland; Journalistin Sina Gersema/Hauptkommissar Stahnke, Windkraftanlagen/Umweltschützer/Industrieinteressen

Alternativen: Ulrich Hefner, Der Tod kommt in Schwarz-Lila (2004), K.-P. Wolf, Ostfriesenblut (2008)



2 Hiltrud Leenders, Michael Bay und Artur Leenders, Die Schanz (2004)        ***

Schenkenschanz/Niederrhein; Kommissariat Kleve, Hochwasser 2002

Alternativen: Thomas Hoeps/Jac. Toes, Nach allen Regeln der Kunst/Kunst zonder genade (2007)



3 Jörg Juretzka, Prickel (1991) *****

Mühlheim/Ruhrgebiet; Privatdetektiv Kristof Kryszinski, Ruhrpottkrimi, Kleinkriminalität

Alternative: Jörg Juretzka, Sense (2006)



4 Horst Eckert, Purpurland (2005)        *****

Düsseldorf/NRW; Kommissarin Anna Winkler, Afghanistan (Bundeswehr)

Alternative: Horst Eckert, 617 Grad (2005)



5 Rolf Hülsebusch, Nekropolis Cologne (2006)           ***

Köln/NRW; What-if-Roman: bombardiertes Köln als Monument



6 Jakob Arjouni, Ein Mann ein Mord (1992)     *****

Frankfurt/Hessen; Privatdetektiv Kayankaya, Ausländerfeindlichkeit, Korruption



7 Jacques Berndorf, Eifel-Blues (1989) und Die Reise nach Genf (1993)          ****

Eifel/Rheinland-Pfalz, mit Ausflug ins Münsterland; Journalist Siggi Baumeister, Kalter Krieg, Bundeswehr/MAD

Alternativen: Eifel-Blues ist der erste von mehr als 20 Eifelkrimis von Jacques Berndorf.



8 Wolfgang Brenner, Bollinger und die Friseuse. Ein Grenzfall (2007)           ****

fiktiver deutsch-französischer Grenzort/Saarland; dt.-frz. Geschichte, Kommissar Bollinger



9 Bernhard Schlink und Walter Popp, Selbs Justiz (1987)      *****

Mannheim/Baden-Württemberg; Privatdetektiv Gerhard Selb, Rheinische Chemiewerke (RCW) = BASF, Nazivergangenheit: Zwangsarbeiter



10 Carlo Schäfer, Im falschen Licht (2002)      ****

Heidelberg/Baden-Württemberg; Hauptkommissar Theuer, Humor!!



11 Wolfgang Schorlau, Die blaue Liste (2003) *****

Stuttgart/Baden-Württemberg, Privatdetektiv Georg Dengler, Terrorismus, Vereinigung

Alternativen: Uta-Maria Heim, Das Rattenprinzip (1991), Die Kakerlakenstadt (1993)



12 Robert Gross, Grafeneck (2007)                  *****

Buttenhausen/Schwäbische Alb; Grundschullehrer und Heimatkundler Mauser, Euthanasie Nazizeit

Alternative: Ulrich Ritzel, Der Schatten des Schwans (1999)



13 Ulrich Ritzel, Schwemmholz (2000)            *****

Ulm/Bodensee, Baden-Württemberg; regionale Wirtschaft, Kommissar Berndorf



14 Volker Klüpfel und Michael Kobr, Seegrund (2006)            **

Kempten/Füssen/Allgäu, Bayern; Kommissar Kluftinger, Nazivergangenheit (Humor??)



15 Max Bronski, München Blues (2007)           ***

München/Bayern; Antiquitätenhandler Wilhelm Gossec, Korruption, Immobilien, Humor/Ironie

Alternative: Max Bronski, Schampanninger (2008)



16 Thomas Glavinic, Der Kameramörder (2001)          *****

Steiermark/Österreich; Medienkrimi



17 Eva Rossmann, Freudsche Verbrechen (2001)        ****

Wien/Österreich; Journalistin Mira Valensky, Arisierung von Immobilien/Restitutionsfrage



18 Andrea Maria Schenkel, Tannöd (2007)       ****

Dorf in der Oberpfalz/Bayern



19 Marc Buhl, Der rote Domino (2002)             ****

Freiburg/Baden-Württemberg und Weimar/Thüringen; Goethe-Krimi, 2001/1945/1776



20 Mitra Devi und Bea Hurwiler, Der Spinner von Leipzig. Ein illustrierter Krimi (2007)         **

Leipzig/Sachsen; Foto-Hommage an Leipzig-Lindenau, Schweizer Krimiautorin



21 Marek Krajewski, Festung Breslau  (2006)               ****

Breslau März 1945/1950/1954; Kriminalrat Hauptmann Mock, sowjetische Belagerung von Breslau



22 Jan Eik, Der siebente Winter (1989) ***

Berlin/DDR; Ende der 80er, Kombinatsleiter Siegfried Korn und Major Peter Fiebig, Diebstahl



23 Dagmar Scharsich, Die gefrorene Charlotte (1993)  *****

Berlin/DDR; August bis November 1989, Stasi



24 Pieke Biermann, Herzrasen (1993)              *****

Berlin/Scheunenviertel nach der Wende



25 Anne Chaplet, Nichts als die Wahrheit (2000)         ***

Berlin/Rhön; Hauptstadt Berlin, Bundestagsabgeordnete und Biobäurin Anne



26 Christa Bernuth, Innere Sicherheit (2006)   ****

Mecklenburg/Ostseeküste/Ostberlin; DDR Ende der Achtziger Jahre, ABV Martin Beck



27 Ella Danz, Steilufer (2007)               ***

Lübeck/Lübecker Bucht, Schleswig-Holstein; Kommissar Georg Angermüller, Hobbykoch, Neonazis/Ausländerhass; Alternative: Dietmar Lykk, Totenschlüssel. Küsten Krimi (2008)



28 Christian von Ditfurth, Mann ohne Makel (2002)     *****

Hamburg/Lübeck; Historiker Dr. Stachelmann als Detektiv, Nazi-Vergangenheit

Alternativen: Christian von Ditfurth, Mit Blindheit geschlagen (2004), Schatten des Wahns (2006)



29 Robert Brack, Schneewittchens Sarg (2007)           ***

Hamburg; Detektivin Lenina Rabe, (fiktive) „Dänische Befreiungsfront“, Altona, Stadtteilentwicklung



30 Thomas B. Morgenstern, Der Milchkontrolleur (2005)         ****

Stade/Niedersachsen


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