für Walter Schönau
Vor zwei Jahren
haben wir im Landhaus Rothenberge Walter Kappachers Roman Selina oder Das andere Leben besprochen, die Geschichte eines
deutschen Lehrers, der sich in ein verfallenes Bauernhaus in der Toskana
zurückzieht.
Vielleicht hat
Kappacher damals gefühlt, wie nah wir ihm, dem Scheuen, in unseren Gesprächen
gekommen sind, jedenfalls lässt er seinen neuen Roman in einem fernen Land der
roten Berge spielen. Das Buch ist gegliedert wie ein Tryptichon: der große
Mittelteil fällt besonders ins Auge. Er enthält die überaus genaue Beschreibung
einer fünftägigen Wanderung durch die faszinierende Berglandschaft des Canyonlands-Nationalparks im
amerikanischen Bundesstaat Utah.
„Land der roten
Steine“ (2012): Ein deutsches Amerikabuch, dachte ich beim ersten Lesen. Hatte
ich Selina so schnell vergessen?
Kappachers
Protagonist Michael Wessely, ein österreichischer Arzt kurz vor der
Pensionierung, erfüllt sich mit dieser Reise einen Traum, und seine
Beschreibung dieser Reise, die über die Hälfte des schmalen Büchleins einnimmt,
lenkt den Leser zunächst einmal völlig von den komplizierten biographischen
Bezügen der Hauptfigur ab. Wessely hat sich sorgfältig vorbereitet, nicht mit
touristischen Reiseführern, sondern mit der Lektüre der Aufzeichnungen zweier
Amerikaner, die in diesem Gebiet gelebt haben: die Briefe und Tagebücher von
Everett Ruess und Edward Abbey’s Desert Solitaire. A Season in the Wilderness.
Beide Autoren werden in Wesselys Erzählung wiederholt angeführt. Ruess hatte
sich mit 19 Jahren entschlossen, in der atemberaubenden Schönheit (und
Gluthölle) der Canyons zu leben und war ein Jahr später (1934) spurlos
verschwunden. (Sein Skelett wurde erst nach 75 Jahren 2009 in einem Felsspalt
entdeckt.) Seine hymnischen Beschreibungen des Lebens in dieser Landschaft
haben ihn in den USA zu einer Kultfigur gemacht. „Everett“, so heißt auch der
indianische Führer Wesselys. Es lohnt sich immer, auf Kappachers Namengebungen
zu achten.
Auch Edward Abbey (1927-1989) ist eine amerikanische Kultfigur: In Desert Solitaire (1968) berichtet er von seiner Zeit als Ranger für den National Park Service in den Jahren 1956/57. Das Buch gilt als eine der schönsten Naturbeschreibungen der amerikanischen Literatur und wird in einem Atemzug mit Thoreau’s Walden genannt. Mit den Flussaufstauungen im 20. Jahrhundert wurde den Canyonlands, die Jahrtausende von kleinen Indianerpopulationen bewohnt gewesen waren, das notwendige Wasser entzogen. Abbey ist über diese Entwicklung zum radikalen Naturschützer geworden.
Wandertouren dort
bemessen sich heute nach der Literzahl Wasser, die man zu schleppen imstande
ist. Wer sich dabei verrechnet, kommt um. Nicht nur ältere Menschen geraten hier
körperlich an ihre Grenzen. Wesselys herzschwacher indianischer Bergführer zeigt ihm, teils
mit dem Jeep, teils zu Fuß, die drei Teile des Nationalparks: Island in the Sky, Needles und als
Höhepunkt The Maze, das Labyrinth.
Kappachers
Beschreibungen gehört nun ihrerseits zu den schönsten und intensivsten
Landschafts- und Naturbeschreibungen in deutscher Sprache. Sie vergegenwärtigen
dem Leser das Naturerlebnis intensiver, als die Betrachtung eines noch so schönen YouTube-Filmchens
es vermag.Aber dies ist nur der mittlere Teil des Roman-Tryptichons. Was steht auf dem linken und rechten Seitenflügel, die den Bericht vom Land der roten Steine einrahmen? Spätestens wenn ich die drei Kapitelüberschriften nenne, wird klar, dass es sich hier – wie in Selina – um die Möglichkeit eines anderen, neuen Lebens handelt: Vita nuova, De vita beata, La vita breve. Dies sind gleichzeitig die Titel von Schriften der Weltliteratur, von Dante, Seneca, Juan Carlos Onetti, die gleichsam die Patenschaft für die drei Teile des Romans übernehmen sollen. Senecas Traktat Das glückliche Leben hat schon in Selina eine wichtige Rolle gespielt.
Das verlangt einen neuen Anlauf für meine Betrachtungen…
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