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Montag, 24. August 2020

Nietzsche (9): Nietzsche und die Folgen (Andreas Urs Sommer)


Der genaueste Nietzsche-Leser unserer Zeit ist der 48jährige Schweizer Direktor der deutschen Friedrich-Nietzsche-Stiftung und der Forschungsstelle „Nietzsche-Kommentar“, Andreas Urs Sommer. Sommer hat ein halbes Dutzend dickleibige Nietzsche-Kommentare zu den einzelnen Werken geschrieben. Schon seine Dissertation ging 600 Seiten lang über Nietzsches Spätwerk „Der Anti-Christ“.

 

Nun ist von ihm ein verhältnismäßig schmaler Band, „Nietzsche und die Folgen“, erschienen (2. Auflage, Berlin 2019), in dem er zunächst auf 90 Seiten mit sprühender Intelligenz eine Zusammenfassung und Einschätzung von Nietzsches Werken gibt („Nietzsches Welt“), um sich dann 100 Seiten lang „Nietzsches Nachwelt“ zu widmen, in der er gegebenenfalls auch seinen bissigen Humor walten lässt. Hier geht es um die unglaublich vielfältige Nachwirkung Nietzsches in Deutschland, Europa und der Welt, um Nietzsche-Verehrer und Nietzsche-Hasser zwischen 1900 und jetzt. Viele Beispiele für die angebliche Nähe von Hitler und Nietzsche passieren die Revue, zum Beispiel das unsägliche Gedicht von Rolf Hochhuth aus seinem Bändchen „Nietzsches Spazierstock“ (2004):

 

„Blonde Bestien“ verbrennen mit Hitlers Gebein

Nietzsches Stock, als sie Benzin auf den gießen,

der 56 Millionen Europäer gemordet – nicht allein:

Ihm halfen, die Nietzsche mitherrschen ließen.

 

(Der Spazierstock Nietzsches war von seiner naziaffinen Schwester Elisabeth Hitler zum Geschenk gemacht worden.)

 

Auch die Rolle Nietzsches in der westlichen Unterhaltungsindustrie, etwa in Filmen wie „Rope“ von Hitchcock wird behandelt. In der zweiten Auflage ist noch ein Anhang hinzugefügt: „Fake Nietzsche“, in dem der Autor falsche Nietzsche-Zitate und andere Verfälschungen des Werkes auf die Reihe bringt.

 

Ein elegantes Buch, mit Konzentration und Vergnügen zu lesen!

 

Eine Schlussfolgerung, die den Standort des Autors deutlich macht, bringt das folgende Zitat: „Diejenigen, die Nietzsche bierernst nehmen, sind gezwungen, die Vielstimmigkeit Nietzsches zum Verstummen zu bringen und nur eine – möglichst die schrillste – Stimme gelten zu lassen“ (Sommer 109f.).

 

Andreas Urs Sommer eröffnet einen reichhaltigen Zugang zu Nietzsche, gerade in unseren Zeiten. In diesem Sinne können wir ihn auch in einem Gespräch auf YouTube erleben, in dem es um Nietzsche, Ressentiment und Trump geht. Dort gibt es auch weitere Beiträge mit ihm.

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