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Montag, 17. August 2020

Nietzsche (7): Das schönste Nietzsche-Gedicht

Nietzsches Gedichte waren nicht etwa eine Nebenproduktion; sie sind Bestandteil seiner Philosophie. Sein Hauptwerk, der „Zarathustra“ ist ja selbst ein Zwischending aus Poesie und Philosophie. 


Nietzsches philosophisches Ich ist etwas völlig anderes als bei den systematischen Philosophen des 19. Jahrhunderts, die auf eine Gesamterklärung der Welt abzielten. Nietzsche rechnet ab mit zweieinhalb Jahrtausenden Metaphysik und Religion. Er selbst bleibt einsam übrig als derjenige, der nach dem von ihm konstatierten Tode Gottes in äußerster Radikalität als freier Geist die Umwertung aller Werte vornehmen muss. Diese Position bringt er immer wieder auch mit poetischen Metaphern zum Ausdruck.


Als sein schönstes Gedicht gilt „Vereinsamt“ in der Fassung und mit dem Titel wie es 1894 (nicht von ihm selbst) veröffentlicht wurde. Entstanden war es schon 1884 unter dem Titel „Der Freigeist“ und um zwei Strophen länger, die genau die Position des freien und einsamen Geistes Nietzsche verdeutlichen. Ohne die zwei Strophen scheint das Gedicht ganz allgemein vom Verlust der Heimat und der daraus hervorgehenden Einsamkeit zu handeln. Verständlich, dass es in dieser Version berühmt wurde. Als existentielles Ich-Gedicht des Philosophen geht es aber nicht ohne den Fluch auf das dumpfe deutsche Stuben-Glück.


Thomas Anz geht in seinem Essay „Weh dem, der (k)eine Heimat hat“ auf beide Versionen ein.  




Der Freigeist (Vereinsamt)

 

Abschied

 

„Die Krähen schrei‘n 
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt: 
Bald wird es schnei‘n – 
Wohl dem, der jetzt noch – Heimat hat!

 

Nun stehst du starr,
Schaust rückwärts ach! wie lange schon!
Was bist du, Narr,
Vor Winters in die Welt – entflohn?

 

Die Welt – ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer Das verlor,
Was du verlorst,macht nirgends Halt.

 

Nun stehst du bleich,
Zur Winter-Wanderschaft verflucht,
Dem Rauche gleich,
Der stets nach kältern Himmeln sucht.

 

Flieg‘, Vogel, schnarr‘
Dein Lied im Wüsten-Vogel-Ton! –
Versteck‘ du Narr,
Dein blutend Herz in Eis und Hohn!

 

Die Krähen schrei‘n
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnei‘n –
Weh dem, der keine Heimat hat!“

 

Antwort

 

Daß Gott erbarm‘! 
Der meint, ich sehnte mich zurück 
In’s deutsche Warm, 
In’s dumpfe deutsche Stuben-Glück!

 

Mein Freund, was hier 
Mich hemmt und hält, ist dein Verstand, 
Mitleid mit dir! 
Mitleid mit deutschem Quer-Verstand!

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