In der Bücherbeilage
der NRC vom letzten Freitag steht eine ausführliche Rezension der
niederländischen Ausgabe von Christopher Clarks 2012 erschienenem Buch: “The Sleepwalkers. How Europe went to War in 1914” (“Slaapwandelaars: Hoe Europa in 1914 ten
oorlog trok”). Bernard Hulsman preist darin Clarks neue, die deutsche
Schuld am Ersten Weltkrieg relativierende Darstellung, allerdings ohne selbst zur
Kernfrage der Schuld Stellung zu beziehen.
Der australische (in England lebende) Historiker Christopher Clark ist vor allem durch seine Geschichte Preußens bekannt geworden (Iron Kingdom. The Rise and Downfall of Prussia,
1600–1947, London 2006). Ich war neugierig, wie sein neues Buch wohl in der deutschen, amerikanischen
und englischen Presse gewürdigt worden ist und stieß auf allerlei
Besprechungen, in denen die Relativierung der deutschen Hauptschuld als neuer
Stand der Forschung klaglos akzeptiert wird.
Eine Ausnahme bildet die Rezension von Nigel Jones, einem britischen Journalisten und Historiker, Jahrgang 1961, in The Spectator. Er wählt darin das
perfide und dümmliche Instrument, den australischen Autor Clark der
Teutonophilie zu bezichtigen:
“Clark is, as his brief author’s biography
makes very clear, such a Teutonophile that I am surprised that he doesn’t
deliver lectures to the Cambridge History Faculty wearing a Pickelhaube.
He also holds the ‘Officer’s Cross of the Order of Merit of the Federal
Republic of Germany’, although he doesn’t say whether this comes encrusted with
diamond clusters and oak leaves.”
Ich will nicht sagen, dass man nicht auch mit
guten Gründen an einer vorwiegenden Schuld der politisch Verantwortlichen im
Deutschen Kaiserreich festhalten kann, aber Jones’ Manier des Keulenschwingens
hat wohl mehr mit einer eigenen germanophoben Prädisposition zu tun, die auch
aus seiner Biographie deutlich wird und mir mehr ein Generationsmuster der in
den fünfziger und sechziger Jahren Geborenen zu sein scheint.
Genau wie der Nationalsozialismus bei den
Kindern der Täter (und Verlierer) eine Art Nationalmasochismus hervorgerufen
hat, hat er bei den Kindern der Opfer zu einer Germanophobie geführt. Das gab es auch in den Niederlanden: Eine Reihe niederländischer Journalisten und
Deutschlandkorrespondenten der Geburtenjahrgänge zwischen den fünfziger und
siebziger Jahren haben bis in neunziger Jahre hinein in Westdeutschland immer
nur nach Spuren des großen Übels gesucht. Die meisten von ihnen, und die neue Generation
sowieso, sind inzwischen zu einem neutralen oder sogar positiven Bild
umgeschwenkt. Aber Relikte gibt es immer noch. Genauso wie Nigel Jones in
England verhält sich der jetzige Korrespondent der NRC in Berlin, Frank Vermeulen,
der noch am letzten Donnerstag mit einem Bericht über die Neonazis in
Ostdeutschland wieder zugeschlagen hat. Vermeulen hat von Anfang an mit einer
negativen Grundeinstellung über Deutschland berichtet. Das war mir direkt bei seinen ersten Beiträgen aus Berlin aufgefallen.
Gott, warum mache ich das hier eigentlich zum Thema? Ich selbst bin ja
auch über meinen Nationalmasochismus hinausgekommen. In den neunziger Jahren
habe ich meine Verstörung durch die niederländische Germanophobie der achtziger
Jahre noch mit einer größeren Arbeit „bewältigt“. Das ist heute „ouwe koek“.
Mir ist an mir selbst aufgefallen, wie generationstypische
Prädispositionen das historische Urteil vernebeln können: Ich gehöre der
deutschen Generation an, die aufgrund dessen, was sie über den Hitler-Krieg und
den Holocaust gehört hat, sofort bereit war, auch an die deutsche Hauptschuld
am Ausbruch des ersten Weltkriegs zu glauben. Außerdem schien es mir auf der
Hand zu liegen, dass die Ursachen der Hitlerherrschaft im Wesentlichen in den
Eigenschaften des Kaiserreichs bereits nachweisbar waren.
Daran änderte auch mein Studium der Geschichte und meine Lehrtätigkeit
in den Niederlanden im Bereich der Deutschlandstudien zunächst nichts. In den
letzten fünfzehn Jahren habe ich mich immer mehr mit der Zeit zwischen 1890 und
1920 beschäftigt. Das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in Deutschland
erschloss sich mir als eine ungeheuer reichhaltige, dynamische und kraftvolle
Zeit mit einem riesigen Veränderungspotential in Kultur, Wissenschaft und
Politik, in dem sich progressive, retardierende und reaktionäre Kräfte
vermengten. Wer will, kann darin die Ingredienzen der Hitlerzeit
zusammensuchen; wer böse will, sucht sich diese gleich aus den hundert Jahren
davor zusammen. Hitler ist dagegen für mich nur aus der Zeit nach 1914 erklärbar.
Die Rezensionen: The Spectator - Der Spiegel - Süddeutsche Zeitung - Die Welt
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