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Donnerstag, 30. Oktober 2014

Serendipität in der Photographie



In seinem kleinen Buch “Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie“ (La chambre claire, 1980, deutsch Suhrkamp 1985) formuliert Roland Barthes immer wieder in wunderbarer Klarheit seine Beobachtungen an Photographien. Ich habe mir ein paar Sätze aufgeschrieben:

Das punctum einer Photographie, das ist jenes Zufällige an ihr, das mich besticht. (p. 36)

Die PHOTOGRAPHIE berührt sich (wie mir scheint) nicht über die MALEREI mit der Kunst, sondern über das THEATER. (p. 40)

In der PHOTOGRAPHIE lässt sich nicht leugnen, dass die Sache dagewesen ist. Hier gibt es eine Verbindung aus zweierlei: aus Realität und Vergangenheit. Und da diese Einschränkung nur hier existiert, muss man sie als das Wesen, den Sinngehalt (noema) der PHOTOGRAPHIE ansehen. (p. 86)

Was die Natur der PHOTOGRAPHIE begründet, ist die Pose. (p. 88)

Wie man es auch dreht und wendet: die PHOTOGRAPHIE hat etwas mit Auferstehung zu tun. (p. 92)

Im Verlauf des Buches gibt Barthes Beispiele anhand von 15 großen Photographen. Eher nebenbei taucht dabei der Name des deutschen Photographen August Sander (1876-1964) auf.
Da ich mich nur sehr wenig mit der Geschichte der Photographie beschäftigt habe, war Sanders Werk für mich neu, sogar das, was ihm den Ruf eines der größten Photographen seiner Zeit eingebracht hat, sein Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“.
August Sander ist dieses Jahr 50 Jahre tot. Eines seiner am meisten reproduzierten Bilder ist „Jungbauern im Sonntagsstaat. Westerwald“ (1914). Es war auch das erste von ihm, das ich bewusst gesehen habe, als ich jetzt bei Amazon die Buchausgabe von „Menschen des 20. Jahrhunderts“ suchte.
August Sander, Drei Jungbauern im Sonntagsstaat, 1914
Dieses Foto exemplifiziert für mich alle fünf Sätze, die ich oben von Roland Barthes zitiert habe, als Kriterien für ein meisterhaftes und den Betrachter faszinierendes Foto.

Und dann wartete noch eine Überraschung auf mich: Mein Lieblingsautor unter den lebenden Amerikanern, Richard Powers, war von diesem Foto derart gebannt, dass er seinen ersten, von mir bisher nicht beachteten Roman ganz der Magie dieses Bildes gewidmet hat: „Three Farmers on their Way to a Dance“ (1985, deutsch 2011: „Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz“).

 
Auszug aus dem Wikipedia-Artikel:
„Der Roman beginnt mit einem Ich-Erzähler, der nur als P. bekannt ist. Auf der Durchreise besucht er in Detroit ein Kunstmuseum und sieht dort ein Foto von August Sander aus dem Jahr 1914, das drei Jungbauern aus dem Westerwald auf dem Weg zu einer Tanzveranstaltung zeigt. Der Erzähler ist von dem Bild stark beeindruckt und beginnt in der Folgezeit mit Recherchen zu Sander und seinem Werk. Allmählich entwickelt er eine Besessenheit und zieht sich mehr und mehr aus seinem Alltagsleben zurück, um sich nur noch mit dem Foto und den zeitgeschichtlichen Hintergründen zu beschäftigen.“

Ich kann die Besessenheit verstehen, diesem Foto und den darauf Abgebildeten auf die Spur zu kommen, auch wenn ich mich jetzt darauf beschränken werde, Powers´ Roman zu lesen.

Serendipität: Ich habe ihr Lob schon in meiner kleinen Theorie des Blogs gesungen.


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