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Sonntag, 25. August 2024

Der aufregendste Roman der Saison: Alexander Schimmelbuschs „Karma“



„Dieser Roman ist eine schlimme und großartige Zumutung“, schreibt Adam Soboczynski in der ZEIT vom 8. August, das „schlimme“ hätte er weglassen können, denn dieser Roman ist ganz einfach eine großartige Zumutung. Er ist so gut, dass die Jury des Deutschen Buchpreises ihn übersehen hat in ihrem Eifer, mit ihrer Longlist das deutsche Durchschnittspublikum mit immer denselben autofiktionalen Texten begabter weiblicher Erzählerinnen und Plaudertaschen zu bedienen.

„Karma“ ist ein satirischer Zukunftsroman, der im Jahr 2033 (!) an einem brandenburgischen See spielt. 2025 ist in Deutschland der Konzern „Omen“ gegründet worden, der allerlei auf künstlicher Intelligenz gegründete Plattformen entwickelt hat und damit innerhalb weniger Jahre Weltführer geworden ist.

Am Anfang des Romans hält die CEO Christiane eine lange Rede zur Eröffnung der Siedlung Weidenau, vier hochtechnisierten Bungalows, die in äußerster Naturverbundenheit auf Stelzen am Rande des Sees entstanden waren und zum Vorbild für deutsche Naturarchitektur werden sollten. Fünf Frauen und Männer der ersten Stunde würden als Frühpensionäre in diese Häuser einziehen: sie selbst, Christiane, Joachim, Daniel, Nilufar und Frauke.

Dies ist das Romanpersonal, das Alexander Schimmelbusch in den Christianes Rede folgenden Stunden in wechselnden Konstellationen in den Bungalows und einer im tiefen Wald verborgenen Taverne agieren lässt. Der Leser erfährt dabei vieles über die Aktivitäten des Konzerns und seiner Plattformen und über den Hintergrund und Lifestyle der handelnden Personen. Naja, viel Handlung ist nicht damit verbunden, einen wirklichen Plot gibt es nicht, und die Personen interagieren zwar, oft auch sexuell und in fabelhaft sich steigernden Dialogen. Exquisites und exzessives Essen und Trinken spielt auch eine große Rolle! Und die für die Bungalowbewohner entwickelten künstlichen Intelligenzen Dieter und Diana mischen sich gerne immer wieder ein.

Das alles geschieht in einer ganz ungewöhnlichen Sprache, Soboszynski nennt es in seiner Rezension etwas nüchtern  den „Nominalstil der neudeutschen Unternehmerwelt“; da mag was dran sein, aber Schimmelbusch weiß daraus Sätze und ganze Passagen von überwältigender stilistisch-satirischer Brillanz zu zaubern. „Man merkt seiner Literatur an, dass sie nicht der Schreibschule entstammt, sondern sich aus der Lebenserfahrung in internationalen Konzernen speist.“ Ich habe noch keinen vergleichbaren Roman gelesen!

Aus Christianes Rede zum Erfolg von „Omen“: „Okay, man könnte nun einwenden, die Deutschen sind Nörgler und Nivellierer und renitente Geheimniskrämer, warum sollten sie bitte damit Erfolg haben? Aber das ist eben nicht alles, denn es gibt ja ein weiteres Element, noch eine lokale Zutat, und das ist die Sehnsucht, die Sehnsucht danach, unsere Fron endlich hinter uns zu lassen, um wie ein Abendsegler im Walde dem fernen Posthornklange entgegenzufliegen, der törichten Seligkeit. Wir Deutsche träumen immer von einer besseren Welt, vom Aufgehen in der Natur, von unserer rauschhaften Transformation – durch den Kampf, verehrte Anwesende, oder durch die romantische Liebe“ (11f.).

Auffällig ist, dass es hier um eine postpatriarchale Gesellschaft geht, in der die Frauen das Sagen haben. Soboszynski nennt es einen „Wiederaufguss des Faschismus unter feministischen Vorzeichen“. Das Ende wird spannend und tragisch.

Alexander Schimmelbusch, Karma, Rowohlt: Hamburg 2024, 297 Seiten, € 24,00

Hier ist die Rezension von Adam Soboszynski:

https://www.zeit.de/2024/34/karma-alexander-schimmelbusch-kuenstliche-intelligenz-roman

 


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