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Montag, 16. September 2013

Sex-Camouflage in den Gedichten von Gottfried August Bürger (2)

Ein anderes Beispiel liefert Bürgers neunseitige ironisch-verspielte Ballade über die Verführung der Jungfrau Europa durch Zeus. Hier benutzt er eine andere Methode der Camouflierung des Sex-Geschehens. Zunächst hält er uns hin: Erst nach acht – durchaus vergnüglichen - Seiten ist es soweit, aber dann blendet er das eigentliche Geschehen aus und zeigt uns nur die Reaktionen von heimlichen Beobachtern, den Meeresnixen und dem Götterkollegen Neptun.

Nun gut, wir kennen die Geschichte: Zeus nähert sich Europa in Gestalt eines Stieres. Er scheint ganz nett und harmlos zu sein. Die Jungfrau spricht:
"Hi! Hi! Ich will's doch wagen,
Ob mich das Tier will tragen?

Der Stier rennt mit ihr ins Meer. Nachdem er sie an einem Inselgestade abgesetzt hat, nähert er sich ihr als junger Kavalier in Menschengestalt. Er spricht sie an:


“Hier pflegen Sie der Ruh’,
Und trocknen sich, mein Schneckchen,
Ihr Hemde, samt dem Röckchen,
Die Strümpfchen und die Schuh’.
Ich, mit Permiß, will Ihnen
Statt Kammermädchen dienen.”-

Sie sträubte jüngferlich
Sich anfangs zwar ein wenig:
Doch er bat untertänig,
Und da ergab sie sich
Nun, hochgeehrte Gäste,
Merkt auf! Nun kömmt das Beste.

[Ja, aber nun kommen erst mal vier retardierende Strophen, die die Geschichte nicht voranbringen. Danach folgt der Schluss der Ballade:]

Nun schwammen mit Geschrei
In langen grünen Haaren
Der Wassernixen Scharen
Hart an den Strand herbei:
Zu sehen das Spektakel
In diesem Tabernakel.

Manch Nixchen wurde rot;
Manch Nixchen wurde lüstern;
Jen’s neigte sich zum Flüstern;
Dies lachte sich halb tot;
Neptun, gelehnt ans Ruder,
Rief: Prosit, lieber Bruder!

Nun dank, o frommer Christ,
Im Namen aller Weiber,
Daß dieser Heid’ und Räuber
Bereits gestorben ist.
Zwar – fehlt’s auch zum Verführen
Nicht an getauften Stieren.

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